Tupftechnik: Praxis
Heimwerker Andreas Thol berichtet.

In den letzten Jahren reifte in uns - meiner Frau und mir - die Erkenntnis, dass eine weiß gestrichene Rauhfasertapete nicht unbedingt den Olymp der Wandgestaltung darstellt. Da wir ohnehin gerade die Anbauwand durch neue Möbel ersetzen wollten und damit der Zeitpunkt für eine Renovierung optimal gewählt war, nahmen wir unser Wohnzimmer in Angriff.

Der Raum ist etwa 24 Quadratmeter groß, an den Wänden Raufasertapete, die wir noch vom Vorgänger übernommen haben und die beim Einzug vor vier Jahren schlicht weiß (ohne Abtönung) gestrichen wurde. An der Decke war und ist ein weißer Strukturputz, den zu streichen uns seinerzeit dermaßen viel Nerven gekostet hat, dass er jetzt unangetastet bleiben sollte. Als konsequente Nichtraucher - Aschenbecher gibt’s nur auf dem Balkon - waren weder Wände noch Decke verblichen oder vergilbt, allein die „langweilige“ Optik war der Grund für das Renovieren.

Durch intensive Beratung durch einen lokalen Fachhändler hatten wir uns vom blutigen Laien zum interessierten Anfänger in Sachen Wisch- und Tupftechnik ausbilden lassen sowie 2,5kg Farbe - einen blassen Orange-Ton -, einen Naturschwamm, einen großen leeren Eimer und ein Paar Gummihandschuhe erstanden.

Begonnen hat die ganze Aktion mit einem Sakrileg: einige Stellen auf der weißen Wand, die trotz der Reinigung mit Wasser und Seife durch Kabelführungen hinter der Schrankwand oder simple Verschmutzung unansehnlich geworden waren, wurden mit der gleichen weißen, nicht abgetönten Farbe „beigestrichen“. Dies ergab natürlich allein schon aufgrund der Ausbleichung der vorhandenen Farbe - sie hatte schließlich vier Jahre Sonneneinstrahlung Vorsprung - nicht denselben Farbton, sollte aber, so unsere (im Nachhinein begründete) Hoffnung, als Untergrund der Tupftechnik nicht weiter auffallen. Dabei haben wir jedoch berücksichtigt, die korrigierten Stellen großzügig mit einem relativ trockenen Pinsel „beizustreichen“, um harte Übergänge von alter zu neuer Farbe zu vermeiden. Einen einzelnen Wandvorsprung von ca. 60cm Breite haben wir sogar komplett neu gestrichen.

Der nächste Schritt war die „Probierphase“: zuerst haben wir einige lose Bahnen Raufasertapete weiß gestrichen, dann die abgetönte Farbe in einem nachvollziehbaren Mischungsverhältnis in einem Marmeladenglas angerührt. Die Idee dabei ist folgende: klassische Dispersionsfarbe wird durch die Verdünnung mit Wasser lasierend, deckt also den Untergrund nicht mehr vollständig ab, sondern lässt ihn „durchscheinen“. Ziel unserer Aktion war es also, das blasse Orange ungleichmäßig dick auf die Wand aufzutragen, um weiße Flächen (mit geringer Deckung durch das Orange) mit orange-farbigen Flächen (mit hoher Deckung) zu mischen und damit einen „mediterranen Look“ zu erreichen. Dafür ist aber die Lasierfähigkeit der Farbe entscheidend, und die wieder ist allein von der Verdünnung abhängig. Also probiert man mit kleinen Mengen auf einer Testtapete, bis der gewünschte Effekt eintritt. Wichtig ist, dass die weiße Farbe vorher komplett trocken ist, denn nass-in-nass ergibt naturgemäß andere Effekte als nass-auf-trocken, außerdem sollte man sich das Ergebnis nach dem abschließenden Trocknen sowohl im Tageslicht als auch der typischen Kunstlichtbeleuchtung des Raums, beispielweise Halogenlicht, betrachten. Stellen Sie sicher, dass die von gewählte Farbe durch Wasserverdünnung auch wirklich lasierend wird - das tun nicht die Farben aller Hersteller. Das Verdünnen mit weißer Farbe macht die Farbe übrigens nur heller, keinesfalls lasierend, und hilft daher im Zusammenhang mit diesen Effekttechniken nicht.

Vor einer Überbewertung der Ergebnisse der Tests möchten wir jedoch explizit warnen: unser Blass-Orange auf weißer Raufaser sah sowohl unter Tageslicht als auch bei Halogen eher wie ein Neon-Orange aus und hatte auf keinen Fall die warme, beruhigende, angenehme Wirkung, die wir haben wollten. Wir haben mit den Arbeiten an der Wand letztendlich nur deshalb angefangen, weil es ohnehin schon Samstagabend war, das Wochenende damit angebrochen und für nichts anderes mehr zu verwenden und die Farbe als individuell gemischter Farbton noch dazu vom Umtausch ausgeschlossen war. Dabei waren wir uns zu diesem Zeitpunkt absolut sicher, dass ein weiterer Arbeitsgang mit einer dezenteren Farbe nötig sein würde (das Übereinander-Lasieren mehrerer Farbtöne ist möglich und gibt der Wand mehr Tiefe und Struktur). Im Ergebnis hingegen war die Farbe genau das gewünschte Orange, eher vielleicht sogar ein bisschen zu dunkel, aber auf keinen Fall zu grell, wie die Testtapete es vermuten ließ.

Das Ergebnis unserer Tests auf der weißen Raufaser war übrigens zum einen, dass die ursprünglich geplante Wischtechnik durch das zwingende Nass-in-nass für uns Laien zu aufwändig und fehleranfällig war und wir daher kurzerhand auf Tupftechnik ausgewichen sind, zum anderen ein optimales Mischungsverhältnis von 2:3 (Farbe zu Wasser), das aber nur für diese spezielle Farbe und Technik gilt - probieren geht über Studieren. Aus den 2,5kg (4 Liter) Farbe wurde somit plötzlich ein voller 10-Liter-Eimer, der für die gut 50 Quadratmeter Wandfläche weit mehr als ausreichend war.

„Anfangen“ stellte sich als den Beginn einer fürchterlichen Quälerei dar. Relativ schnell stellte sich heraus, dass das Verarbeiten der Farbe Nass-in-nass (also beispielweise neue Tupfer auf noch nasse, vorhandene Tupfer) relativ wenig Einfluss auf die Farbintensität und den Kontrast hatte, während Nass-auf-trocken, also neue Tupfer auf bereits angetrocknete Tupfer, die Farbe deutlich stärker auftrug.

Eine Anmerkung am Rande (bevor Sie enthusiastisch loslegen): Wasserverdünnte Farbe ist absolut unkontrollierbar in Sachen Fließen und Tropfen. Wir haben das Wohnzimmer vorher vollflächig mit Folie und Zeitungspapier ausgelegt und abgeklebt, inklusive sämtlicher Fenster, Türrahmen etc. Das Tupfen selbst ist - deutlich formuliert - eine Riesen-Sauerei, die Gummihandschuhe helfen nur kurz gegen das Gröbste. Ziehen Sie Klamotten und Schuhe an, die Sie nie wieder brauchen, verwenden Sie Werkzeug, deren Farbe Ihnen später egal ist: durch die Verdünnung erhöht sich die Fließfähigkeit der Farbe natürlich ungemein, und Tropfen, Spritzen, Verlaufen etc. ist unvermeidbar. Und was das Aufsaugen von Farbe mit einem Schwamm und anschließendes Verteilen anrichten kann, können Sie sich vielleicht vorstellen ...

Wir haben immer etwa 60cm breite Streifen der Wand bearbeitet. Im ersten Arbeitsgang wurden mit dem Schwamm („Effektschwämme“ aus dem Fachhandel lassen sich hervorragend durch jeden beliebigen Naturschwamm aus der Drogerie oder dem Autozubehörhandel ersetzen) tennisballgroße Kreise auf die Wand getupft, jeweils im Abstand von wenigen Zentimetern und ohne Überschneidung. Diese Kreise sind bewusst relativ nass und damit kräftig, weil sie Später einen guten Teil des Musters ausmachen sollen. Wenn man oben beginnt, kann man etwaige Farbtropfen auf der Wand noch in die Kreise einarbeiten. Ist man unten angekommen, sind die Tupfer am oberen Rand bereits angetrocknet und lassen sich weiterverarbeiten.

Im zweiten Schritt werden dann mit dem ausgewrungenen, deutlich trockeneren Schwamm blassere Kreise auf die gesamte Fläche getupft, also in die Zwischenräume zwischen den mittlerweile angetrockneten Kreisen des ersten Arbeitsgangs und auch drüber. Dabei kann man hervorragend die „Feuchte“ des Schwamms, Druck, Muster und Formen variieren, Hauptsache, man ändert diese Parameter nicht schlagartig (eine natürliche „Evolution“ des Musters über die Fläche kann man ohnehin kaum vermeiden).

Durch die bereits angesprochene lasierende Wirkung von Nass-in-nass- und Nass-auf-trocken-Arbeitsgängen bleibt das Muster der Kreise aus dem ersten Arbeitsgang weitgehend erhalten - abhängig von der Deckkraft der Farbe, die Sie über die Wasserverdünnung im Vorfeld reguliert haben. Wichtig ist, dass wirklich immer nur getupft, auf keinen Fall gewischt werden darf. Ein Mischen von Tupf- und Wischtechnik ist sicherlich möglich und auch reizvoll, aber nicht in einem Arbeitsgang! Außerdem muss man sich vor Augen führen, dass man bei lasierenden Farben keine Chance der Korrektur hat: Während man bei deckenden Farben durch Überstreichen so ziemlich alles verzeihen kann, addieren sich lasierende Farben nur: die Stelle wird dunkler, aber das ursprünglich „falsche“ Muster, beispielsweise ein „Wischer“ in einem Meer von Tupfen, wird eher deutlicher als kaschiert.

Und so haben wir dann die etwa 22 Meter laufende Wand in 60cm-Streifen von Hand betupft, jeweils in zwei Arbeitsgängen. Dabei bietet es sich an, dass eine Wand auch immer nur von einer Person bearbeitet wird - durch unterschiedlichste Parameter (Druck, Tempo, Intensität, Abstand der Tupfen etc.) hat jeder Helfer seinen eigenen „Stil“, und ein Abwechseln mitten auf der Wand wird man später mit Sicherheit sehen. Außerdem sollte man den Ort der Schnittkante zwischen dem ersten und dem letzten Streifen sorgfältig wählen: der Stil einer Person ändert sich auch während der Arbeit, so dass bei uns beispielsweise der erste und der letzte Streifen wahrnehmbar unterschiedliche Muster haben. Wir haben sie hinter die Schrankwand gesteckt (also streng genommen haben wir auf der Wand, wo die Schrankwand hin sollte, begonnen), und es stört nicht weiter.

Nach insgesamt sieben Stunden waren wir einmal „rum“, 22 Meter Wandfläche a 2,5m Höhe waren fertig. Die oberen 10 cm haben wir bewusst weiß gelassen, hier war von Anfang eine geklebte Tapetenbordüre geplant, um den Übergang zur weißen Rauputzdecke nicht akribisch genau machen zu müssen. Ebenso wurden die letzten Zentimeter zum Boden, die später wieder durch die Fußleiste verdeckt werden würden, vernachlässigt.

Besonders tricky sind die Ecken, und zwar weniger die „Außenecken“ - beispielweise an Fenstern und Mauervorsprüngen -, sondern die „Innenecken“, von denen ein normaler Raum mindestens vier hat (sofern Sie nicht gerade einen Wasserturm von innen renovieren). Das Gefährliche daran ist, dass man beim Tupfen einer Wand in der Ecke unweigerlich auch die zweite Wand berührt und hier der Farbauftrag damit zu dicht, sprich zu dunkel wird, gleichzeitig muss man den Schwamm aber in die Ecke quetschen, um hier nicht weiße Flächen zu hinterlassen. Nach ein bisschen Übung empfiehlt sich folgende Methode: mit einen fast trockenen Schwamm tupft man einen sehr blassen farbigen Streifen von oben bis unten in die Ecke. Beim späteren Tupfen muss man jetzt die letzten Millimeter nicht so genau nehmen, weil ja jetzt bereits Farbe aufgetragen ist. Ist die Ecke nach wie vor zu hell, können einzelne Tupfer die helle Linie unterbrechen, ohne es insgesamt zu dunkel erscheinen zu lassen.

Die Alternative ist eine solide Pappe, mit der man bei der Arbeit die jeweils unbeteiligte Wand von Hand lose abdeckt. Dies ist gut geeignet, wenn die benachbarte Wand nicht gleichzeitig mit derselben Technik dekoriert werden soll, andernfalls aber nicht trivial, denn leicht hinterlässt man so einen unbearbeiteten Strich in der Ecke, der von der Pappe bei der Arbeit an beiden Seiten abgedeckt wurde, oder aber man ruiniert sich die frisch getupfte Wand mit der Pappe. Hier hilft nur ein bisschen Übung.

 

 

Fazit
Zusammengefasst: die Sache war’s wert. Der Effekt, den eine ordentlich ausgeführte Wischtechnik ergibt, entschädigt für alle Mühen und steht in keiner Relation zum doch relativ geringen Materialeinsatz, auch die Fotos können das Flair und die Stimmung einer so dekorierten Wand nicht angemessen wiedergeben. Selbst wir als handwerklich leidlich Begabte, aber keinesfalls routinierte Heimwerker und in Sachen Farben ohnehin eher unbedarft haben im ersten Versuch ein sehr sehenswertes Ergebnis hinbekommen. Zusammen mit Abdeckplane, Kreppband, Farbe und Bordüre haben wir dazu weniger als EUR 150 investiert (Werkzeug ausgenommen).

Tipps:
Großzügig abdecken und abkleben: wasserverdünnte Farbe findet ihren Weg!

An einer Stelle beginnen, die später nicht direkt zu sehen ist und deren erste Innenkante (z. B. Zimmerecke) auch nicht direkt zu sehen ist (so können Sie das Thema „Innenecke“ unauffällig üben).

Besser einen „Rundkurs“ tupfen als jede Wand zum Licht hin.

Niemals mehr als einen einzigen Heimwerker auf einer Wand einsetzen!

Bedenken: nass-in-nass hat wenig Kontrast, nass-auf-trocken viel Kontrast

Gut zu kombinieren mit Bordüren

Effekttechniken lassen sich noch vielfältig kombinieren, so könnte mal beispielsweise mehrere blasse Farbtöne lasierend übereinander tupfen oder aber zweifarbige Wände mit unterschiedlichen Farbtönen oberhalb und unterhalb einer (später geklebten) Borde gestalten.

Eine Überlegung bei uns war es beispielsweise, rund um den Essplatz den unteren Teil der Wand mit einem dunkleren Ton zu tupfen und später mit einer kontrastreichen Borde abzugrenzen, während der Rest des Wohnzimmers nur den einen, „oberen“ Farbton erhalten sollte; diese Idee ist aber schließlich dem Zeitplan und der Faulheit zum Opfer gefallen.

Na ja, und schlimmstenfalls: einen Eimer weiße Farbe drüber und nächstes Wochenende noch mal probieren!

 

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