Reblaus (Phylloxera)
John McCabe
Die Reblaus Phylloxera vastatrix (auch als Phylloxera vitifolii,
Viteus vitifolii, Dactylosphaera vitifolii, Daktulosphaira
vitifoliae bekannt) wurde durch experimentale Rebstöcke
von der Ostküste der USA über London in den Süden
Frankreichs in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts eingeführt.
Um 1900 war der Großteil der europäischen Rebstöcke
(Vitis vinifera L.) entweder befallen oder bereits zerstört.
Diese vernichtende Plage erreichte erst 1890 die Champagne weit
im Norden des Landes. Anfangs wurde diese Reblaus im südlichen
Frankreich weitgehend ignoriert. Als die Reblaus ihr wahrlich
erschreckend destruktives Potential jedoch letztlich bewies,
wurden alle denkbaren Bekämpfungsmethoden versucht. Sogar
eine andere Art Laus (Tyroglyphus phylloxera), welche
als Erzfeind dieser Reblaus gilt (sich jedoch harmlos gegenüber
Rebstöcken verhält), wurde importiert. Diese Laus fühlte
sich jedoch leider nicht sonderlich wohl im europäischen
Klima und erübrigte sich als nutzlos. Die Behandlung des
Blattwerks mit Chemikalien wie Sulfure de carbone (Schwefelkohlenwasserstoff
) wirkte zwar augenscheinlich erfolgversprechend, erwies sich
jedoch letztlich ebenfalls als wirkungslos, weil damit nur ein
Stadium des komplexen Lebenszyklus der Reblaus effektiv beeinträchtigt
wurde. Was die Winzer damals nicht ahnten ist, dass es sich bei
ihren befallenen Rebstöcken im praktischen Sinne eher gleichzeitig
um zwei Varianten der Rebläuse handelte: Blattrebläuse
(gallicola) und Wurzelrebläuse (radicicola).
Was Winzer beim Befall ihrer Rebstöcke im Blattwerk entdecken,
stellt bereits ein fortgeschrittenes Stadium des Lebenszyklus
der Reblaus dar. Diese (Blatt-)Rebläuse saugen an den Blättern
und geben gleichzeitig ihren Speichel an die Saftbahnen ab, welcher
wiederum Auswüchse (Gallen) auf der Unterseite der Blätter
verursacht. Diese kleinen Gallen wachsen um die flügellosen
Läuse (gallicolae) heran mit einer kleinen Öffnung
zur Oberfläche des Blattes. In diesen Gallen legt die Laus
nun mitunter mehrere hundert winzige, zitronenfarbene, ovale
Eier ab. Nach ca. acht Tagen schlüpfen neue junge Läuse
aus den Eiern und attackieren weiter das Blattwerk des Rebstockes,
bilden wieder Gallen und legen wiederum Eier. Dieser Zyklus-Anteil
bringt, primär über die Sommermonate, drei bis zu sechs
Generationen der Reblaus hervor. Letztlich werden die Blätter
leblos braun und fallen ab. Ein Anteil der Rebläuse dieser
Blätter wandert zuvor weiter, die anderen fallen mit zur
Bodenebene (in diesem Stadium werden die Läuse als neogallicicolae-radicicolae
bezeichnet).
Dort angelangt setzen sie ihre Machenschaften am Wurzelwerk fort
(diese Läuse gelten nun als radicicolae). Derartige Umstände
im Blattwerk dürfte die erfahrenen Weinbauern damals zwar
verärgert haben, wirkten aber auf Anhieb sicherlich nicht
sonderlich besorgniserregend, da ähnliche, parasitisch bedingte
Begleiterscheinungen im Anbau von Wein oder gar Hopfen schon
lange bekannt waren. Was sie jedoch nicht ahnten ist, dass, auch
wenn diese Blatt-Phase der Reblaus eher unbedeutend ist, sich
diese jungen Rebläuse mittlerweile auch im Wurzelwerk ihrer
Rebstöcke festgesetzt hatten, um dort als Puppen zu überwintern.
Zudem sind die (Wurzel-)Reblaus und die Puppe fast unsichtbar,
da sie farblich den Wurzeln ähneln und zudem sehr klein
sind (0,7 - 1 mm). Im Frühling leben die Rebstöcke
saisongemäß wieder auf, die Puppen streifen ihre Haut
ab, saugen am Wurzelwerk, bilden Gallen, und es werden wieder
fleißig Eier gelegt. Auch im unterirdischen Bereich entstehen
dadurch drei bis sechs Generationen der Phylloxera. Dabei wird
anfangs das Wurzelwerk von der Reblaus nicht erheblich verletzt.
Sobald das Ende des Sommers naht, wachsen bei manchen der bisher
flügellosen Rebläuse nun Flügel heran. Im Herbst
verlassen sie ihre unterirdische Heimat, befallen den selben
Rebstock oberirdisch oder wandern und fliegen nun auch zu anderen
Rebstöcken, legen unbegattet irgendwo nahe dem Boden am
Rebstock oder unter den Blättern der nun befallenen Rebstöcke
jeweils ca. 5 Eier ab und verenden. Die gelegten Eier sind entweder
klein (männlich) oder groß (weiblich). Ca. zwei Wochen
später schlüpfen neue, diesmal männliche und weibliche
Rebläuse. Sie sind jedoch nur für die Fortpflanzung
bestimmt und haben keine Organe für parasitische Zwecke.
Sie begatten sich, und die Mutterläuse legen nun jeweils
ein olivgrünes oder braunes 'Winterei' (ca. 0.27 x 0.13
mm), normalerweise verborgen in Schlitzen der Rinde des Rebstockes.
Dieses Ei überwintert entweder in der Rinde verborgen, oder
eine neue (1 - 2 mm lange) Mutterlaus schlüpft u.U. schon
im selben Jahr. Diese Laus gilt als die 'Stammmutter' (fundatrix)
und wendet sich frischem Blattwerk des Rebstockes zu, bildet
folglich eine Galle, wo dann hunderte Eier gelegt werden. Daraus
entwickeln sich nun wieder die (Blatt-)Rebläuse und der
Zyklus wiederholt sich. Nach zwei bis drei Jahren stirbt der
Rebstock (primär bedingt durch Wurzelschaden) ab, und noch
verbleibende Rebläuse ziehen um zum nächsten Rebstock.
Wenn ein Weinbauer die Blatt-Symptome entdeckt, bedeutet dies
generell, dass nahegelegene Rebstöcke bereits längst
befallen sein dürften. Das Roden der befallenen Rebstöcke,
auch bis hinunter zur Wurzelebene, ist allgemein nutzlos. Im
Gegenteil: es kann die Verbreitung der Reblaus sogar fördern,
da sie beispielsweise beim Entfernen des Strauchs und Wurzelwerks
über Fugen und Nischen der Werkzeuge und landwirtschaftlichen
Geräte (sogar durch die Stiefel der Arbeiter oder gar in
Körben) in neue Regionen eingeführt werden können.
Die Reblaus selbst (ohne 'Hilfe' des Menschen) verbreitet sich
eher langsam (ca. 25 - 30 km/Jahr). Die beflügelten Rebläuse
überwinden allgemein nur sehr kurze Entfernungen (mit optimalem
Rückenwind sind jedoch 30 km denkbar). Ebenso werden die
flügellosen Rebläuse vom Winde zeitweilig auf nahegelegene
Rebstöcke geweht. Rebläuse wandern zudem unterirdisch
zu verflochtenen Wurzeln anderer Rebstöcke. Klimatisch vorteilhafte
Bedingungen (wärmeres Klima) fördern den Lebenszyklus.
Kehren wir jedoch kurz zurück zur damaligen Champagne.
Das kühlere Klima bedingte vorerst nur langsame Fortschritte
der Reblaus. Die Winzer beispielsweise in Bordeaux befanden sich
bereits lange tief im Kampf gegen Phylloxera, was den Winzern
in der Champagne reichlich Warnung (und Erfahrung in der Bekämpfung)
im Vorfeld bot. 'Unerwartet' war die Plage also in der Champagne
kaum. Eine Zusammenkunft aller Winzer in der Champagne wurde
somit am 13. Juni 1891 in Epernay einberufen, um dem neuen Feind
gemeinsam zu begegnen. Der Spruch der französischen Musketiere
'Einer für alle und alle für Einen' hatte jedoch
herzlich wenig mit den Weinbergbesitzern in der Champagne zu
tun. Aus den damalig 25.729 Weinbergbesitzern meldeten sich nur
17.370 zum Beitritt in das neue 'Syndicat de Defénce'.
Das Vordringen der Reblaus konnte durch dieses unvollständige
Syndikat somit kaum verhindert, jedoch trotzdem etwas ausgebremst
werden. Jemandem in Frankreich war offenbar inzwischen aufgefallen,
dass es den ursprünglich importierten Rebstöcken aus
den USA trotz der Reblaus blendend ging bzw. eine weitgehende
Immunität gegenüber Phylloxera bestand. Roden der heimischen
Rebstöcke war somit erforderlich, und folglich war die zügige
Bepflanzung mit reblausfesten Rebstock-Unterlagen aus den USA,
gepfropft mit heimischen Reben, angesagt. Trotzdem schlug Phylloxera
bei den noch nicht veredelten Rebstöcken in erschreckendem
Ausmaß ein. 1910 war bereits die Hälfte der Weinberge
in der Marne-Gegend hoffnungslos von Phylloxera befallen.
Es bestanden und bestehen somit mehrere Optionen für
Weinbauern (nicht nur) in Europa im Sinne der erfolgreichen Bekämpfung
der Phylloxera. Als die weitaus bevorzugte Lösung in Europa
galt und gilt die Nutzung der Unterlagen reblausresistenter,
amerikanischer Rebsorten (z.B. Vitis riparia, rotundifolia,
berlandieri, rupestris, lambrusca) mit folgender
Veredlung durch Pfropfen der europäischen Vitis vinifera
L Rebsorten (Pfropfreben). Den verschiedenen amerikanischen Unterlagen
werden jedoch unterschiedliche Qualität und Erträge
bei der Frucht der Vinifera-Reben nachgesagt.
Laut einem Bericht des Sonoma County Viticulture Newsletter werden
die Blätter der europäischen Vitis vinifera L Rebsorten
von Phylloxera zudem nicht sonderlich bevorzugt (siehe Hinweis
zur entsprechenden PDF-Datei unten).
Eine weitere Lösung stellte der Anbau der Amerika-Reben
dar (wie z.B. die bekannte Noah- und Isabella-Rebe).
Zudem wurden die amerikanischen Rebstöcke erfolgreich
mit den europäischen Rebstöcken gekreuzt. Somit entstanden
bekannte Hybridensorten wie Baco, Delaware oder
Othello.
Phylloxera gilt historisch als das größte Unglück
des Weinbaus in Frankreich (bzw. Europa) überhaupt. Andererseits
jedoch war Frankreich vor dieser Reblaus auch mit zahlreichen
minderwertigen Rebsorten in oftmals ungünstigen Lagen geradezu
überflutet. Die Winzer achteten bei der folglich notwendigen
Neubepflanzung mit den Rebstock-Unterlagen aus den USA darauf,
dass nur die besten heimischen Rebsorten in ihren guten Lagen
diese erhebliche Investition an Arbeit und Geld bei dieser Veredelung
erfuhren. Phylloxera ist zudem weiterhin international problematisch
für Weinbauern in Europa und vielen anderen Ländern
(auch z.B. an der Westküste der USA). Hinzu kommt, dass
die Biologie der Reblaus bis heute noch nicht vollständig
verstanden ist. Selbst die berühmte NASA befasst sich mit
dieser Reblaus. Erschreckenderweise ist inzwischen auch von Mutationen
die Rede. Der Kampf gegen Phylloxera ist somit nicht mal annähernd
gewonnen.
Links:
Interessante Studie der natürlichen Feinde
der Phylloxera
Phylloxera Studie Oregon State University (Englisch)
Grafische Darstellung des Lebenszyklus Phylloxera
(Englisch)
Sonoma County Viticulture Newsletter
cesonoma.ucdavis.edu/vitic/vitnews/dec_98.pdf
Untersuchungen zum derzeitigen Gefährdungspotential
der Reblaus
in den Weinbaugebieten von Baden-Württemberg
Bericht zu NASA Studien - Weinbau (Englisch)
Phylloxera
NASA Studie
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