Das teure Kribbeln
Ein Erfahrungsbericht von Klaus Lantermann über Dom
Perignon
Helma, mein geliebtes
Weib, hatte zu meinem 60. Geburtstag tief in ihre Privatschatulle
gegriffen und mir etwas in unseren Augen sehr Luxuriöses
verehrt. Doch es hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, das
Geschenk auch gemeinsam zu genießen. Und so lag die edle
Grüne mit dem altmodischen goldenen Etikett nun schon weit
über ein Jahr in ihrer schützenden Umhüllung bei
den anderen Flaschen in unserem kleinen Weindepot im Keller.
Konstante Temperaturen zwischen zehn und zwölf Grad konnte
ich ihr dort allerdings nicht garantieren. Ich machte mir Sorgen,
dass sie Schaden nehmen könnte.
Wenn es sich bei dem anspruchsvollen Produkt um einen kostbaren
Champagner der Cuvée Dom Pérignon handelt, dann
gibt es nur ein ganz probates Mittel, um es vor Schaden zu bewahren:
Man leert es. Wir beschlossen, dies am Pfingstsamstag im Rahmen
eines Abendessens zu zweit zu vollbringen.
Ein solcher Plan erfordert allerdings ein wenig Vorbereitung:
Helma kümmerte sich in der Feinschmeckeretage des KaDeWe
um ein paar passende Schnuckligkeiten von der Languste und vom
Fisch. Ich brachte den dunkelgrünen Karton mit der goldfarbenen
Inschrift ,Cuvée Dom Pérignon Vintage 1993"
vorsichtig nach oben. Ein guter Champagner verträgt nämlich
heftige Bewegungen nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man ihn
trinken und nicht als Duschbad missbrauchen möchte. Dann
zerstörte ich mit einem scharfen Messer das Papiersiegel
von ,Moet et Chandon à Epernay, Fondée en 1745",
hob die bauchige Flasche aus ihrem schützenden Einsatz und
legte sie ins mittlere Fach des Kühlschranks, wo sie auf
etwa sechs Grad, die beste Trinktemperatur, abkühlte. Eine
halbe Stunde vor dem Öffnen kam sie dann in einen Sektkühler.
Als der Tisch gedeckt ist, öffne ich andächtig die
Flasche, die inzwischen zehn Jahre auf dem Buckel hat. Das Stanniol
vom Flaschenhals ist schon ein wenig verklebt. Ich lockere mit
der rechten Hand den Naturkorken vorsichtig und halte gegen,
als ich den Druck spüre. Schließlich soll kein Tropfen
verloren gehen. Und knallende Sektkorken können nur ins
Auge gehen oder Löcher in der Zimmerdecke verursachen. Ich
überprüfe, ob der Korken neutral riecht. Das tut er.
Ich schenke ein. Die Gläser beschlagen leicht. Wir haben
klassische Champagnergläser ohne Schliff in Tulpenform gewählt,
die sich nach oben verjüngen. Sie ermöglichen die Entfaltung
des Buketts und sorgen dafür, dass die feinen Kohlendioxidbläschen
nicht zu schnell entweichen. Denn sie sind ja die Seele des Champagners,
um die sich der Benediktinermönch Dom Pérignon im
17. Jahrhundert verdient gemacht hat. Leute, die das Kribbeln
nicht vertragen, sollten besser keinen Schaumwein und schon gar
keinen Champagner trinken und ihr Geld besser in einem guten
Wein anlegen. Das gleiche gilt für die Sektschalen, die
mal als schick galten, die aber nur dafür sorgen, dass das
köstliche Getränk sehr schnell verschalt.
Unser Dom Pérignon aus dem Jahre 1993 zeichnet sich durch
eine helle gold-gelbe Farbe aus und die charakteristischen sehr
feinen Bläschen, die vom Boden des Glases fast wie ein feiner
Nebel hochsteigen. Aber nun wollen wir zur Tat schreiten. Wir
probieren: Wie jeder gute Champagner besticht er durch eine deutliche
eigene Note. Die Komposition aus Chardonnay- und Pinot-Noir-Trauben
bester Lagen nördlich und südlich der Marne gibt ihm
einen angenehmen ausgewogenen Weingeschmack. Er ist trocken,
aber zugleich sehr mild.
Da mir die Worte fehlen, die Geschmacksnuancen im einzelnen zu
beschreiben, komme ich jetzt mit einem Zitat aus einer kleinen
Broschüre, die jeder Flasche Dom Pérignon beiliegt.
Da heißt es zunächst einmal, der Rebjahrgang 1993
sei dank eines warmen gewitterreichen Frühlings sehr früh
reif gewesen. ,Bei der Verkostung dieses Jahrgangs dominieren
zunächst Weinbergpfirsichnoten, die schnell in Cashewnuss-
und Heunuancen übergehen. Abgerundet wird die feine Aromenpalette
durch einen zarten Geschmack von geröstetem Weißbrot.
Eine Empfindung folgt auf die andere, subtil in ihrer Entfaltung,
rhythmisch, präzise, prägnant ... Die anfängliche
Dichte verwandelt sich in zarten Schmelz, dessen Finesse lange
anhält und in Nuancen kandierter Südfrüchte ausklingt."
Neben diesen charakteristischen Eigenheiten des Jahrgangs präsentiere
der Millésimé (Jahrgang) 1993 natürlich auch
die unverkennbaren Stilelemente von Dom Pérignon, ,den
cremigen Schaum mit feinsten Perlen, die temperamentvolle Bukettentfaltung,
die weite Spannbreite von Duft- und Geschmacksnoten, das unglaubliche
Raffinement der Materie".
Aha, Heu und geröstetes Weißbrot ... Wir müssen
gestehen, dass wir das nicht herausgeschmeckt haben. Bei uns
verwandelte sich die anfängliche Dichte auch nicht in zarten
Schmelz, sondern in eine leere Flasche. Schade, dass ein solcher
Event nicht ein bisschen länger anhält. Denn ein ganz
besonderer Genuss war es schon. Ob er diesen Preis wert ist,
diese Entscheidung mag ich nach einer einzigen Flasche nicht
treffen. Uns schmeckt auch ein netter Bollinger oder ein Piper-Heidsieck
zu einem Viertel des Preises von Dom Pérignon sehr gut.
Ach ja, der Preis. Was Helma für den 93er ausgegeben hat,
das hat sie mir nicht verraten. Aber für den zurzeit angebotenen
95er werden im Geschäft um die 90 Euro verlangt. Vielleicht
sollte ich es einmal bei ebay wagen. Da soll man den 95er zu
etwa 30 Euro erwerben können.
Erleben Sie einen weiteren, interessanten Bericht von Klaus
Lantermann zu seinem Besuch beim Hause A. Burguet in der Champagne:
Spitzenqualität
zum Aldi-Preis
Siehe auch Champagner-Historie
Siehe auch Dom
Pérignon
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