Jahrgangs-Champagner (Champagne millésimé)
John McCabe
Im Gegensatz zu Champagnern ohne Jahrgang wird Jahrgangs-Champagner
ausschließlich aus den Grundweinen eines bestimmten Jahres
hergestellt. Das entsprechende Jahr wird auf dem Etikett der
Flasche vermerkt.
Jahrgangs-Champagner werden theoretisch nur in jenen Jahren
geschaffen, wo die Traubenqualität allgemein so beschaffen
ist, dass sie alleinstehend (ohne Verschnitt mit Weinen aus anderen
Jahren) einen herrlichen Champagner mit der besonderen Identität
dieses Jahres versprechen kann. Ist dieser Champagner nun 'besser'
als ein Champagner ohne Jahrgang? Manchmal wohl ja, aber kaum
immer. Er ist jedoch absehbar 'anders' als seine 'Multi-Jahrgangs-Brüder'
aus dem selben Champagner-Hause. Er besteht auf seine eigene,
von der Natur in jenem Jahr in den Trauben geprägte, geschmackliche
Individualität. Es ist gerade diese bestimmte Individualität
eines Jahrgangs-Champagners, dessen Studie viele Kenner begeistert.
Jedes Jahr bringt Trauben hervor, die durch das Zusammenspiel
unberechenbarer Faktoren wie Sonne, Regen, Frost, Hagel, Schädlingen
und Pilz schlichtweg immer einzigartig sind. Es ist irrtümlich
zu meinen, dass es sich letztlich um schlechten Wein bei einem
bestimmten Jahr handeln dürfte, weil wenige oder keine Häuser
einen Jahrgangs-Champagner deklarierten. Die wahre Kunst der
Champagner-Bereitung ist gerade in den jahrgangslosen Champagnern
schon seit Jahrhunderten verborgen. Jedes Jahr liefert eine einzigartige
'Trauben-Identität', welche im gekonnten Verschnitt mit
Weinen anderer Jahre genau richtig und wichtig für die traditionelle
Geschmacksnote des Hauses bei zukünftigen Champagnern sein
wird. Champagner ohne gekennzeichneten Jahrgang sind somit eigentlich
nicht als 'jahrgangslos' zu verstehen, sondern eher als 'Multi-Jahrgangs-Champagner',
welche am ehesten die traditionelle Seele der Champagner verkörpern.
Die Champagne stellt zudem ein komplexes Mosaik verschiedener
Mikroklimen dar. Verschiedene Lagen und Rebsorten verbunden mit
verschiedenen Bodenbeschaffenheiten bedingen jedes Jahr einen
breiten Fächer unterschiedlicher Trauben-Qualitäten.
Während sich eventuell der Grossteil der Winzer nach der
Ernte ihrer Reben gegen die Bereitung eines Jahrgangs-Champagners
entscheidet, so kann es ebenso Winzer in anderen Gebieten in
der Champagne geben, deren Trauben die Bereitung eines Jahrgangs-Champagners
durchaus rechtfertigt. Somit kann es einen Jahrgangs-Champagner
aus einem bestimmten Haus geben, welcher schlichtweg hervorragend
ist, obwohl dieser Jahrgang selbst in der Fachliteratur allgemein
als nicht besonders bemerkenswert gilt. Hier und da gibt es natürlich
auch Winzer, welche manchmal ein Auge zudrücken und Jahrgangs-Champagner
mit eher unpassendem Traubengut deklarieren. Der Grund dafür
ist klar: Jahrgangs-Champagner sind allgemein (wesentlich) teurer
im Handel als Champagner ohne Jahrgang.
Es gibt auch keine feste Formel, welche die Qualität
der Ernte im Voraus berechnen könnte. Im Frühjahr1985
beispielsweise hatte Frost 2.000 Hektar Rebstöcke zerstört.
Daraufhin folgte ein ungewöhnlich kühler Frühsommer.
Im September und Oktober gab es unerwartet dann eine Hitzewelle.
Das Resultat war eine kleine, aber von der Qualität her
exzellente Lese. Die Lesen der Jahre 1982/83 wiederum bedeuteten
für zwei aufeinander folgende Jahre Resultate, die sowohl
reichlichen Ertrag als auch überragende Qualität boten.
Auch 2002 war ein spannendes Jahr, da die Sonne sich erst spät
in der Saison, aber doch noch rechtzeitig und reichhaltig meldete.
Claude Taittinger aus dem Hause Taittinger ist überzeugt,
dass 2002 sogar einen der besten Jahrgänge der letzten zehn
Jahre vorgebracht haben dürfte.
Eine interessante Studie stellt auch das Jahr 2003 dar:
Im April des Jahres setzte ein böser Frost ein, welcher
den früh- ausschlagenden Chardonnay-Rebstöcken
übel zusetzte. Die Hälfte des erhofften Chardonnay-Ertrags
wurde vernichtet. Daraufhin folgte ein äusserst heisser
Sommer, welcher die frühste Ernte seit dem Jahre 1822 bedingte.
Pinot Noir
und Pinot
Meunier waren zwar ausserordentlich gesund und süß
(hohes Alkohol-Potential), jedoch mangelte es ihnen allgemein
erheblich an der typischen Säure. Die Chardonnay-Reben,
nach dem üblen Frost am Anfang der Saison überlebten,
galten zum Schluss von der Qualität her jedoch allgemein
als eher etwas minderwertig im Sinne der sortentypischen Eleganz.
Der Ertrag der Ernte war zwar verhältnismässig klein,
aber die Winzer waren mit der Qualität der Trauben allgemein
sehr zufrieden. In Anbetracht der besonderen Umstände in
der Champagne, gestattete die EU den Winzern die Möglichkeit
der Zufügung von Säure(1.5g/l).
Um der eher geringfügigen Ernte entgegen zu wirken, gestattete
der Verband C.I.V.C. die Ergänzung von vorrätigen Überschussweinen
aus den ertragreichen Jahren 1998, 1999, 2000. Im Jahre 2006
werden die ersten Champagner ohne Jahrgang mit Wein aus dem Jahr
2003 erscheinen. Frühestens 2007 werden sich die ersten
Jahrgangs-Champagner 2003 melden. Viele Häuser werden jedoch
keinen Jahrgangschampagner 2003 vorstellen.
Jeder Jahrgangs-Champagner muß nach der zweiten Gärung
mindestens drei Jahre lang gelagert werden, ehe er ausgeliefert
werden darf. Maximal 80% der Lese eines so designierten Jahrgangs
darf zur Erstellung des Jahrgangs-Champagners genutzt werden.
Mindestens 20% müssen dem (zukünftigen) Verschnitt
(Assemblage) zur Erstellung von Champagnern ohne Jahrgang vorbehalten
bleiben.
Zudem lassen sich manche Jahrgangs-Champagner im Gegensatz
zu den meisten Champagnern ohne Jahrgang öfters länger
lagern. Manche dieser Jahrgangs-Champagner lassen es sich auch
nicht nehmen, durch Lagerung noch etwas besser zu werden. Somit
sind erfolgreiche Lagerungen von 5 bis 10 Jahren nicht ungewöhnlich
(bestimmte 30+ Jahre alte Jahrgänge sind heute noch hoch
begehrt). Mehrere Häuser vertreiben auch Jahrgangs-Champagner
aus viel früheren Jahren. Aber auch bei Jahrgangs-Champagnern
kommt irgendwann -früher und später- der Moment, an
dem sie geschmacklich 'ihr Alter zeigen'. Es gilt somit insbesondere
für Kenner, informiert zu bleiben, wie sich bestimmte Jahrgänge
über Jahre der Lagerung hinweg entwickeln. Unter den vielen
Jahrgangs-Champagnern der letzten 30 Jahre werden allgemein folgende
Jahrgänge besonders geschätzt: 1996*, 1995*, 1990*,
1989, 1988*, 1985*, 1982, 1981, 1979, 1976, 1975, 1973, 1971*,
1970
('*' = besonders beliebt).
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