Ein chinesischer Immigrant namens Ariakensis Die Chesapeake Bay ist die größte Bucht der Vereinigten Staaten und gilt als die berühmteste Austerngegend der amerikanischen Geschichte. Dort ist die Amerikanische Auster ("Crassostrea virginica") ansässig. Jahrhunderte der ungezügelten Ausbeutung sowie verheerende Austernkrankheiten Mitte des 20. Jahrhunderts (Dermo, MSX) resultierten in einer fast vollständigen Ausrottung der Bestände. Heute werden die verbleibenden Amerikanischen Austern in der Chesapeake Bay auf bestenfalls 1% der ursprünglichen Bestände geschätzt. Die umfangreichen und kostspieligen Bestrebungen in den letzten Jahrzehnten, die Amerikanische Auster zu kultivieren, konnten bisher nur bescheidene Erfolge verzeichnen. Austernfischer, die wirtschaftlichen Interessen der benachbarten Bundesstaaten Maryland und Virginia, staatliche Behörden und meeresbiologische Forschungsinstitutionen erwägen die großflächige Einführung einer chinesischen Austernart, die sich durch Schmackhaftigkeit und schnelles Wachstum auszeichnet. Dabei handelt es sich um die "Suminoe Auster" ("Crassostrea ariakensis"). Diese Austernart wird umgangssprachlich oft einfach auch als "Chinesische Auster" oder "Asiatische Auster" bezeichnet. Meeresbiologen sind fest überzeugt, dass der Einführung der Chinesischen Auster in der Chesapeake Bay erst umfangreiche und vollständige Studien vorausgehen müssen. Austernfischer und auch Anteile der Wirtschaftsgemeinde der Staaten Virginia und Maryland stehen der Einführung einer (schneller wachsenden) "neuen" Austernart verständlicherweise begieriger gegenüber. Daher besteht bereits seit Jahren ein gewisses "Tauziehen" zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Interessen. Wirtschaftlich betrachtet ist das Puzzle auf den ersten Blick
einfach: Meeresbiologen hingegen betrachten ein äußerst
komplexes Puzzle: Abgesehen von der Tatsache, dass sich ein kleiner Anteil der triploiden (genetisch veränderten und folglich vermehrungsunfähigen) Chinesischen Austern letztlich in diploide (vermehrungsfähige) Austern wandeln kann, stehen für Meeresbiologen noch einige wichtige, teilweise völlig ungeklärte Fragen im Raum: * Wer ist dieser chinesische Immigrant namens "Ariakensis"
überhaupt? Nähere Studien der Rutgers University haben
inzwischen bewiesen, dass es sich bei der Klassifikation "Crassostrea
ariakensis" (bzw. "Crassostrea rivularis") offenbar
um mindestens zwei grundverschiedene asiatische Austernarten
handelt. Die scheinbar gleichen "Crassostrea Ariakensis"
laichen in unterschiedlichen Breitengraden, in unterschiedlichen
Monaten und Gegebenheiten. Der Verdacht eventueller historischer
Verwechslungen bei der Klassifizierung dieser oder ähnlicher
Asternarten bereitet den Meeresbiologen zunehmend Kopfzerbrechen:
* Würde die Chinesische Auster in diesen neuen Gewässern ebenso wie die Amerikanische Auster Riffe erobern können? Historische Kultivierungen Japans in der Ariaki Bucht zeugen von keiner nennenswerten Riffentwicklung der "Crassostrea ariakensis". Folglich würde sie in absehbarer Zeit kaum die einstmaligen Riffe der Amerikanischen Auster ("Crassostrea virginica") ersetzen können. * Wie sind ihre Überlebenschancen gegenüber den bestehenden natürlichen Austernfeinden der Chesapeake Bay? Erste Prüfungen ergeben, dass bestimmte einheimische Krabben die Chinesische Auster mit größerem Heißhunger verzehren als die Amerikanische Auster. Die Schale der Chinesischen Auster ist dünner als jene der Amerikanischen und folglich für viele natürliche Feinde wesentlich einfacher zu knacken. Bestimmte Würmer (sog. "Bristleworms") sind Erzfeinde der Austern und dürften von der verhältnismäßig schwachen Schale der Chinesischen Auster profitieren. Zudem stellt sich heraus, dass die Chinesische Auster sehr anfällig für den Austernparasiten Bonamia (bzw. "Bonamia ostreae") ist. Tausende sterile (triploide) Chinesische Austern fielen diesem Parasiten bei Kultivierungsstudien im Bundesstaat North Carolina (nahe der Chesapeake Bay) zum Opfer. Neben der hohen Sterblichkeitsrate war auch überraschend, dass dieser Parasit überhaupt in North Carolina beheimatet war. Dabei handelt es sich übrigens um den gleichen Parasiten, dem in europäischen Küstengewässern in den 70er Jahren Unmengen der Europäischen Auster ("Ostrea edulis") zum Opfer fielen. * Kann die Chinesische Auster mit der einheimischen Amerikanischen Auster in der Chesapeake Bay koexistieren oder besteht die Gefahr der Verdrängung? * Was passiert bei einer potentiellen Vermehrung der Chinesischen Auster außerhalb der Chesapeake Bay? Wie sicher ist es, dass nur geprüfte Austernbabys (zugelassenes Austernsaatgut) aus Zuchtlaboren ausgesetzt werden und nicht auch ungeprüftes Saatgut direkt aus Japan oder China in die Wildnis gelangt? Was würde geschehen, wenn Austernbauern das Saatgut eigenmächtig auch in anderen Gewässern der Ostküste und/oder des Golfs testen? Bei dieser Entscheidung geht es den Meeresbiologen nicht alleine um die Chesapeake Bay, sondern auch um die Auswirkungen auf die gesamte Ostküste und den Golf von Mexiko, wo eine immense Austerindustrie auf die Amerikanische Auster angewiesen ist. * Was genau wird diese Austernart in der Chesapeake Bay durch Filterung des Wassers in ihr Fleisch aufnehmen? Mindestens ein Wissenschaftler meint, dass die Chinesische Auster bisher unerforschte bzw. "schlummernde" Substanzen aus der Chesapeake Bay in ihrem Fleisch absetzen könnte, was womöglich beim Genuss zu ernsthaften pathologischen Konsequenzen führen könnte. * Was wird die Chinesische Auster sonst noch mit sich bringen? Wie man bereits an der Einführung der Pazifischen Auster ("Crassostrea gigas") sehen konnte, dürfte die Chinesische Auster mit großer Wahrscheinlichkeit auch andere unerwünschte Lebewesen aus ihren heimischen Gewässern mitführen. Dabei könnte es sich beispielsweise um Viren handeln, die neben den einheimischen Austernarten auch andere Meeresbewohner befallen könnten. Immerhin wird die Pazifische Auster verdächtigt, bei ihren ersten Kultivierungsversuchen in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einen verheerenden Austernvirus ("Bonamia ostreae") nach Europa eingeschleppt zu haben, der letztlich den Großteil der heimischen Austern in Frankreich vernichtete. Die wirtschaftlichen Interessengruppen erwarten 2005 eine
Antwort. Mehrere Meeresbiologen meinen hingegen, dass bestenfalls
2007 eine vernünftige Entscheidung denkbar wäre. Inhalte auf Austern.com sind urheberrechtlich geschützt. Berichtigungsvorschläge werden dankend entgegengenommen. All contents © Austern / McCabe.us, John W. McCabe Site Archive Kontakt (Impressum) |