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Die Geschichte des Schaumweins
John McCabe

Sollte jemandem die 'Erfindung' von Schaumwein zugesprochen werden, dann gebühren die Lorbeeren eindeutig einigen findigen Benediktinermönchen aus dem Tal der Aude im Süden Frankreichs.

Nachweislich füllten diese Mönche der Abtei Saint-Hilaire in Limoux schon um 1540 absichtlich unvollständig vergorene Weine im kühlen Herbst in Flaschen ab, verkorkten sie mit den damals neu entdeckten Eichenkorken und sicherten die Korken mit Schnüren am Flaschenhals. Im warmen Frühling gärte der Wein weiter und die Kohlensäure war in den Flaschen gefangen.Voila: Die ersten Schaumweine waren geboren!

Diese 'Ur-Methode' der Schaumweinherstellung wird als méthode ancestrale bezeichnet. Zu Zeiten dieser méthode ancestrale gab es jedoch noch kein Verfahren, um den Hefesatz sachgerecht aus den Flaschen zu entfernen. Daher handelte es sich damals um eher trüben Schaumwein, mit dem auch der Hefesatz seinen Weg ins Glas des Genießers fand. Diese Ur-Schaumweine wurden später auch als Blanquette-Weine bekannt. Die heutigen bekannten Schaumweine Blanquette de Limoux werden zu 95% mit moderneren Methoden gewonnen. Die Winzer lassen es sich jedoch nicht nehmen, die übrigen 5% ihrer Schaumweine genau wie die findigen Mönche im Stil des 16. Jahrhunderts herzustellen.

Auf ähnliche Art und Weise entstanden im 17. Jahrhundert Schaumweine in England, welche man eigentlich auch als 'Ur-Champagner' bezeichnen könnte:

Die Winzer in der Champagne vergärten ihre Weine bestmöglich vor der Auslieferung, manchmal aber nicht vollständig. In der Champagne setzte oftmals herbstlich kühles Wetter während des Herstellungsprozesses der Weine ein, welches bedingte, dass die Hefen sich vor der Vollendung der Gärung in gewisser Weise 'in den Winterschlaf' begaben. Im Frühling wurde der Wein dann in Fässern nach England exportiert. Angekommen in England, wurden die Hefen im wärmeren Frühlingswetter plötzlich wieder munter. Die in Flaschen abgefüllten und verkorkten Weine waren in der Folge schon damals bescheidene Schäumer, die am englischen Königshof große Begeisterung hervor riefen (siehe auch Saint Evremond).

Schon 1662 dokumentierte ein Dr. Christopher Merret bei der 'Royal Society of England', dass Weinhändler verschiedenen Weinen offenbar "sugar and molasses" (Zucker und Melasse) hinzufügten, um das Schäumen zu fördern. 1676 sprach ein Sir George Etherege sogar von einem 'schäumenden Champagner'.

Hinzu kam, dass die Technik zur Produktion hochwertiger, kräftiger Flaschen (verre anglais) in England bereits bestand. Diese robusten Flaschen konnten dem Kohlensäure-Druck weit besser standhalten als herkömmliche Flaschen aus Frankreich.

Auch Eichenkorken waren durch Englands regen Handel mit Portugal längst verfügbar. In der Champagne wurden derzeit noch weitgehend undichte Holzpfropfen und unzulängliche Flaschen eingesetzt. Hinzu kam, dass den Winzern in der Champagne das nachträgliche Sprudeln mancher ihrer Weine im Frühling zwar bekannt war, dies jedoch keineswegs Begeisterung auslöste, sondern die Winzer eher ärgerte: Schäumender Wein galt als fehlerhaft, minderwertig und unreif. Regelmäßig wurde derartiger Wein dann als vin du diable (Teufelswein) bezeichnet. Erst 20 bis 30 Jahre später setzten sich kräftigere Flaschen und Eichenkorken langsam auch in der Champagne durch. Zudem merkten manche Winzer in der Champagne inzwischen, dass ihr 'vin du diable' anderswo als 'vin mousseaux' sehr verehrt wurde. In der Folge wurde dann auch in der Champagne der Wahrung und Förderung der Kohlensäure mehr Beachtung geschenkt.

Im Laufe der Zeit verfeinerten findige Winzer und Mönche in der Champagne u.a. auch das Verfahren der Gärung in der Flasche. Bis um 1730 entstand Schaumwein jedoch lediglich als ein Produkt der natürlichen Nachgärung in der Flasche. Danach wurde der Wein zunehmend in früheren Stadien der ersten Gärung in Flaschen abgefüllt, um dem Wein noch mehr Kohlensäure in den Flaschen zukommen zu lassen. Flaschenbruch war keine Seltenheit mehr.

Neben dem zunehmenden Druck in den Champagner-Flaschen erhöhte sich für Champagner-Häuser simultan auch ein ganz anderer Druck: Konkurrenz aus dem Ausland! Dass der Schaumwein aus der Champagne große Beliebtheit genoss, war inzwischen international bekannt. Schon kurz nach den napoleonischen Kriegen war die Champagne bereits zum Symbol des Schaumweins geworden. Länder wie z.B. Deutschland, Österreich, Italien, die Schweiz, Ungarn und Russland brachten im 19. Jahrhundert ebenfalls große Mengen an Schaumwein hervor.

Hinzu kam, dass jeder Schaumwein, ungeachtet seiner Herkunft, im deutschsprachigen Raum von der Bevölkerung gemeinhin völlig selbstverständlich als 'Champagner' bezeichnet wurde. Den Begriff 'Schaumwein' kannte so gut wie kein Mensch, obwohl ein Herr J. G. Herder aus Deutschland bereits 1779 dem deutschen Wortschatz eine Lehnübersetzung des französischen 'vin mousseux' hinzugefügt hatte: 'Schaumwein'. Erst 1876 bestätigte ein deutsches Wörterbuch den Begriff 'Schaumwein'. Bis zum Versailler Vertrag (1919) untersagte deutschen Schaumweinherstellern kein Gesetz, ihren Sekt nicht auch als 'Champagner' bezeichnen zu dürfen.

Der grosse Durchbruch für den Schaumwein aus der Champagne erfolgte um 1800 mit einem Erlass des französischen Ministers Antoine Chaptal (siehe auch Chaptalizierung). Fortan war es gesetzlich gestattet, jene Weine, welche von Natur aus bei der Gärung mit verhältnismäßig wenig Zucker ausgestattet waren, mit zusätzlichem Zucker zu bereichern.

Besonders für die Winzer der Champagne war die Gestattung des nachträglichen Zuckerns äußerst vorteilhaft, da die Umweltbedingungen dieses nördlich gelegenen, kühlen Weinbaugebietes nur selten genügend natürlichen Traubenzucker in die Reben einzubringen vermochten.

Eigentlich bezog sich diese neue Regelung auf die Zugabe des Zuckers zum Most vor der ersten Gärung. Bald darauf jedoch führten Kellermeister ihren Weinen auch Zucker unmittelbar vor dem Abfüllen in Flaschen zu; diese Zugabe wurde als prise de mousse bezeichnet und führte zu fantastischen Schäumern. Erschreckenderweise explodierten jedoch bis zu 80% der Flaschen in den Kellern der Champagner-Häuser. Man wusste vom naturwissenschaftlichen Standpunkt her nicht, wieviel Zucker für die Nachgärung in den Flaschen richtig war. Dieses gefürchtete Phänomen wurde damals als casse bezeichnet. Der enorme Prozentsatz der Flaschenbrüche bedingte auch erhebliche Preiserhöhungen. Folglich konnten sich nur Reiche die verbleibenden Champagner leisten. Daraus entfaltete sich auch die Bezeichnung der Champagner (und später auch Sekt) als 'Luxusgetränk'.

Die unansehnliche abgestorbene Hefe in den Flaschen (Hefetrub) konnte bis zu diesem Zeitkunkt nur umständlich aus dem Schaumwein entfernt werden konnte. Champagnerflaschen wurden anfangs Kopf voran in einen Sandkasten gesteckt, um die abgestorbene Hefe in den Flaschenhals zu verlagern. Um 1818 erfand die berühmte Witwe Clicquot gemeinsam mit dem Kellermeister Antoine Müller das Rüttelpult. Seither wurde das Rütteln der Flaschen zur Beseitigung des Hefesatzes zur Perfektion gebracht.

Bereits In 1815 stellte der französische Wissenschaftler Louis-Joseph Gay-Lussac folgende These vor: "Ein Molekül Zucker löst zwei Moleküle Ethyl-Alkohol und zwei Moleküle Kohlensäure und Hitze aus". Obwohl richtungsweisend, waren die neuen Erkenntnisse in der Praxis der Champagner-Bereitung leider eher belanglos. Erst 1836 entwickelte ein französischer Apotheker eine Formel, welche zuverlässig die angemessene Menge des hinzugefügten Zuckers für die gewünschte Kohlensäure-Bildung in den Flaschen bestimmen ließ (siehe auch Réduction François).
1860 belegte der berühmte französische Wissenschaftler Louis Pasteur, dass die ursprüngliche Formel der Reaktion bei der Gärung nur auf ca 95% des umgesetzten Zuckers zutrifft, die übrigen ca. 5% wiederum wichtige sekundäre Stoffe wie (u.a.) Glycerin, höhere Alkohole und bestimmte Säuren bedingen.

Um 1880 waren lediglich nur noch ca. 5-6% der Champagner- und Sekt-Produktion vom Flaschenbruch betroffen. Obwohl die Ursache zur Bezeichnung als Luxusgetränk nun beseitigt war und Champagner wie auch Sekt inzwischen oft günstiger waren als andere Qualitätsweine, kam die staatliche Aufrechterhaltung dieser Qualifikation als 'Gegenstand des Luxusgenusses' als Vorwand zur erheblichen Besteuerung der Schaumweine bis heute sehr gelegen. Im Jahr 2003 spülte die deutsche Schaumweinsteuer 432,3 Millionen Euro in die staatlichen Kassen.

Bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts handelte es sich weitgehend lediglich um eine durch Zucker verstärkte Fortsetzung der ersten Gärung noch junger (einjähriger) Weine mit verbleibender (noch lebenskräftiger) Hefe (oder zeitweiligem Zusatz vom Gärtrub einer anderen Weingärung) in Flaschen. Die méthode champenois war letztlich nicht mehr als eine Erweiterung der ursprünglichen méthode rural. Erst in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begann sich die Zugabe eines hochqualifizierten Gemisches aus Wein, Zucker und besonderer Hefe (liqueur de tirage) bei den Champagner-Häusern zum Zwecke einer zweiten Gärung durchzusetzen. Erst seit der erfolgreichen Züchtung von Reinzuchthefen (1894 in Geisenheim, 1895 in Epernay) kann von Champagner- oder Sektherstellung im heutigen Sinne die Rede sein. Aus besonders guten Weinen wurden bestimmte Hefestämme von Wissenschaftlern sorgfältig isoliert. Bis heute sind sie als Champagner-Hefen bzw. Schaumwein-Hefen bekannt. Diese Hefen zeichnen sich durch hohe Alkohol- und Glycerin-Bildung aus und sind ideal für die Bereitung jener Schaumweinen, welche durch eine zweite Gärung bereits vergorener Weine entstehen. Bei hohen Alkoholgraden, erheblichem Kohlensäuredruck und kühlen Temperaturen, gären diese Zuchthefen weiter, wo die Vielzahl anderer Hefesorten längst versagt haben bzw. abgestorben sind. Hinzu kommt, daß Zuchthefen nach dem Absterben einen körnigen, leichter zu rüttelnden Satz bilden und gleichzeitig dem Schaumwein besondere aromatische Qualitäten verleihen.

Zwischendurch hatten die französischen Wissenschaftler Jaunay und Maumené 1852 mit einem druckfesten Großbehälter zur Gärung der Weine erfolgreich getüftelt. Schon 1888 wurde in Deutschland die 'Deutsche Schaumweinfabrik in Wachenheim' gegründet, welche sogenannte Großraumgärung einsetzte. 1910 entwickelte der Franzose Eugene Charmat ein vorbildlich funktionierendes Drucktankverfahren zur automatischen Herstellung großer Mengen Schaumwein. Sein Verfahren veränderte die Schaumwein-Industrie in Europa schlagartig: Bereits 1930 wurden allein in Frankreich schon über fünf Mio. Flaschen Schaumwein mit dem 'Charmat-Verfahren' produziert.

Um 1910 zeichneten sich bereits deutlich unterschiedliche Richtungen in der Schaumweinbranche ab. Während andere Gebiete in Frankreich und der Rest der Welt sich zunehmend den 'fortschrittlichen Methoden' im Sinne der Verbilligung der Schaumweine durch Grossraumgärung, Quantität, abgekürzte Gärungsverfahren und Imprägnier-Schaumweinen zuwandte, blieb die Champagne streng ihrer Tradition der aufwendigen Flaschengärung und höchster Qualität (statt Quantität) treu. Ohnehin waren Champagner bereits weltweit als das non plus ultra wohlbekannt. Hinzu kam, dass sich viele prominente und einflussreiche Champagnerhäuser längst entfaltet hatten. Besonders im benachbarten Deutschland fasste jedoch die Großraumgärung zur Bereitung von Sekt zunehmend Fuss. Auch traditionell (durch Flaschengärung) bereiteter Sekt kämpfte um Marktanteile. Ebenso beteiligten sich inzwischen sehr günstige Imprägnierschaumweine erfolgreich am Markt.

Die Perfektion des Charmat-Verfahrens erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Seit vielen Jahrzehnten wird der Großteil der Schaumweine auf der ganzen Welt mittels der Großraumgärung gewonnen.

Es bestehen jedoch unter Weinkennern keine Zweifel, dass die aufwendige traditionelle Flaschengärung der Champagner (und auch manch anderer Schaumweine) einen weitaus höherwertigen Schaumwein hervor bringt. Im Gegenzug sind die 'anderen' Schaumweine der Charmat-Methode jedoch wesentlich günstiger.

Qualität hat eben seinen Preis.

Siehe auch Schaumwein

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