Arcachon Das Austerngebiet "Arcachon" erstreckt sich von
der Mündung der Gironde in Richtung Süden über
die große Bucht von Arcachon bis hinab an die spanische
Grenze. Austernliebhaber sollten ihr Augenmerk auf die dreieckige
Bucht von Arcachon richten. Die ca. 15.000 ha große Bucht mündet
bei Cap Feret zwar in den Atlantik, kommt jedoch einem Binnenmeer
gleich. Sie ist in kleine idyllische Städtchen, einer malerischen
Landschaft und vielen anderen Sehenswürdigkeiten eingebettet.
Mitten in der Bucht befindet sich die berühmte "Vogelinsel"
("Ile aux Oiseaux"). Die Fischerei der Südseite
der Bucht (zwischen La Teste und Gujan) hat sich in den letzten
Jahrzehnten enorm industrialisiert und gilt als der wirtschaftliche
Motor dieser Gegend. Der reisende Austernliebhaber sollte auf
jeden Fall das Hafenstädtchen Port de Larros (gleich nebenan
zur Stadt Gujan) besuchen. Hier gibt es ein bezauberndes Austernmuseum
("La Maison de l'Huître") und es findet ein großes
Austernfest jedes Jahr im August statt ("Larros en Fête
- Foire aux Huîtres"). Arcachon ist seit Jahrhunderten zutiefst von der Austernkultivierung geprägt. Die Wahrung der Reinheit des Gewässers ist hier der Bürger oberstes Gebot! Die Bevölkerung ist zu Recht stolz auf ihre sehr reinen Gewässer und wehrt sich mit vereinten Kräften gegen jede potentielle Verschmutzung. Aus gutem Grunde: Austern sind zwar oberflächlich die robusten Festungen des Meeres, jedoch bekommen diese empfindlichen Weichtiere mit der Lebensaufgabe, das Meer zu filtern, als Erste den Fluch der Umweltverschmutzung zu spüren. Die Gemeinde der Bucht von Arcachon hatte trotz ihrer maritimen Fürsorge über viele Jahrzehnte ständig mit Ärger zu kämpfen: Zwischen 1970 und 1972 raffte eine Austernkrankheit den Großteil der Portugiesischen Austern ("Crassostrea angulata") dahin. Zum Entsetzen der Austernbauern verschwand diese Austernart binnen zwei Jahren gänzlich aus der Bucht von Arcachon. Kurz darauf wurde dieses Loch durch die erfolgreiche Einbürgerung der Pazifischen Auster ("Crassostrea gigas") geschlossen. 1974 wurden Schalen-Abnormalitäten bei den Austern der Bucht auffällig. Der Kundenkreis reagierte empfindlich auf die deformierten Schalen und wandte sich von Arcachon ab. Später sollte sich herausstellen, dass der Unterwasseranstrich einiger Schiffsrümpfe mit bestimmten Farben, so genanntes TBT ("Tributylzinn") in die Gewässer abgab. TBT gilt als eines der stärksten Umweltgifte. Es sollte jedoch noch schlimmer kommen. Gerade als die Bucht wieder erholt schien, weigerte sich die Pazifische Auster zu laichen. Von 1977 bis 1981) gab es so gut wie keine Austernbabys mehr in der Bucht. Das Gift TBT belastete das Fortpflanzungssystem der Schalentiere nachhaltig. Die Austernbauern in der Bucht Arcachon erlitten Verluste in Millionenhöhe. Im Jahre 1978 verlor der Tanker "Amoco Cadiz" 230.000 Tonnen Rohöl. Die Bucht von Arcachon war von dieser Ölpest direkt betroffen. Tausende von Meeresvögeln und zahllose Austernfarmen gingen zu Grunde. Die Austernindustrie der Bucht brach letztlich fast vollkommen zusammen. Simultan geriet die gesamte Austernindustrie Frankreichs ins Wanken. Arcachon produzierte nämlich nicht nur seit Jahrhunderten hervorragende Austern, sondern war gleichzeitig der größte Lieferant von Austernbabys in Europa. Zahllose Austernbauern in den nördlichen Gebieten Frankreichs waren damals (und sind noch heute) auf die regelmäßigen Austernbaby-Lieferungen aus der Bucht von Arcachon angewiesen, da sich die Pazifische Auster in den kühleren Gewässern nur unzuverlässig vermehrt. Dies sorgte bei dem größten Austernproduzenten Europas, Frankreich, für großes Entsetzen. Bereits 1982 verbot Frankreich den Anstrich von Schiffen bis zu 25 Meter Länge mit TBT. Im Jahr 1989 folgte die Europäischen Union mit dem Verbot der Verwendung von TBT-haltigen Bootsfarben (unter 25 Metern). Kurz nach dem Erlass des französischen TBT-Gesetzes erholten sich die Bucht und einher die Austernindustrie von Arcachon wieder. Der letzte Akt des scheinbar endlosen Dramas der Austernbauern von Arcachon hob den Vorhang im Januar des Jahres 2003, als der schleichende Tod der Ölpest des Tankerwracks "Prestige" auch in ihre Bucht Einzug hielt. Dies führte zu einem vorübergehenden Verkaufsverbot der Austern. Die Bucht kam diesmal glücklicherweise weitgehend unbeschadet davon, so dass diese Vorsichtsmaßnahme schon bald überflüssig war. Der französische Staat sorgte gleichzeitig für die finanzielle Entschädigung der Austernbauern von Arcachon. Die überaus reinen Gewässer der Bucht von Arcachon, verbunden mit reichaltigem Plankton, geeignetem Salzgehalt und idealen Wassertemperaturen sorgen nicht nur für 15.000 Tonnen gesunde, schmackhafte Austern, sondern heizten auch ihren Paarungstrieb an. Arcachon darf durchaus auch als die "Austern-Kinderstube Frankreichs" bezeichnet werden. Nirgendwo in Europa (oder USA) entwickelt sich die Pazifische Auster (Crassostrea gigas) auch nur annähernd so gut wie in dieser Bucht. Aus diesem Phänomen entstand eine zusätzliche Austernindustrie. Diese ist in erster Linie mit der Pflege und dem Versand von Austernbabys in andere Gebiete Frankreichs und Europas befasst. Der Zyklus der Fortpflanzung der Pazifischen Auster umspannt in Arcachon ca. 7 Monate. Sobald sich das Wasser im März auf etwa 13° C erwärmt, beginnen die hermaphroditischen Austern ihren ganz speziellen "Geschlechterkampf". Sie richten ihre Anatomie entsprechend aus und werden entweder Männchen oder Weibchen. Zwischen Mai und Juli sind die Austern eher milchig. Sobald das Wasser eine Temperatur von ca. 20 - 22° erreicht, ist die Zeit zum Laichen gekommen. Das Laichen kann in verschiedenen Gebieten der Bucht von Juni bis Mitte September vortwähren. Die Weibchen legen jeweils ca. 50-100 Mio. Eier, die im Wasser sofort von Unmengen ausgestoßenen Spermas der Männchen umlagert sind und befruchtet werden. Umgehend nach dieser erfolgreichen "Hochzeitsnacht" beginnt die Larvenphase der Austern. Wenig später entwickeln sie sich zu bewimperten Larven, die im Meerwasser für die nächsten zehn bis 20 Tage umherirren. Zwar ernähren sich die Larven bereits von Plankton, sind bei ca. 1/10. - 2/10mm jedoch selbst kaum größer als gewöhnliches Plankton. Ihre natürlichen Feinde sind daher zahlreich. Zahllose kleine und größere Fische lauern auf diese kleinen Leckerbissen. Ebenso kann ein großer Sturm, schweres Gewitter oder ein unerwarteter Kälteeinbruch die Larven in wenigen Stunden erheblich dezimieren. Auch unter idealen Voraussetzungen wird es nur ca. 1 Prozent der Larven schaffen, an einem geeigneten Standort sesshaft zu werden. Dies ist eine äußerst kritische Zeit für die Larven. Natürlich wird diese kritische Phase von den meisten Austernbauern mit Sorge beobachtet - die gleichzeitig auch von vielen anderen Austernbauern in der Bretagne, der Normandie bis hin nach Irland geteilt wird. Auch sie sind letztlich auf den Erfolg des Laichens in der Bucht von Arcachon angewiesen. Unmittelbar vor dem Festsetzen bilden die Larven einen kleinen Fuß, mit dem sie sich an dem geeigneten Substrat "festkleben". Sobald sie den geeigneten Standort gefunden haben, an dem sie sich für den Rest ihres Lebens niederlassen werden, ist diese Odyssey auch schon beendet. Umgehend versuchen sie nun eine winzige Schalenfestung aufzubauen um eine Überlebenschance zu haben. Wenn alles gut geht kann man nach sechs Wochen bereits mit dem bloßen Auge ein winziges Austernbaby bewundern. Es entspricht größenmäßig in etwa unserem kleinen Fingernagel. Die Austernbauern von Arcachon wissen das natürlich längst und bieten den Larven rechtzeitig das ideale Substrat an - oft in Form kalküberzogener Dachziegel (Firstziegel). Dieses Material zum Larvenfang bezeichnen die Austernbauern als "Collecteurs". Sie werden ca. 20 cm über dem Meeresboden in Kästen aufgestellt (manchmal auch als "Bienenkörbe" bezeichnet). Die Larven sind jedoch wählerisch. Sie wünschen ausschließlich "frisches Substrat". Gebrauchtes, algenüberzogenes und schlammiges Substrat verschmähen sie vehement. Folglich ist das Timing der Platzierung des Substrats wichtig (richtige Wassertemperatur, Ort und Zeit der Platzierung). Das französische meeresbiologische Institut IFREMER (Institut français de recherche pour l'exploitation de la mer) unterstützt die Austernbauern dabei zusätzlich mit ständigen Gewässerprüfungen. Derartigen Larvenfang bezeichnen die französischen Austernbauern als "Captage". Dieses System wurde ursprünglich bereits 1859 vom dem französischen Wissenschaftler Coste unweit von Arcachon erstmals implementiert. Später, im Jahre 1865, erfand ein findiger französischer Maurer namens Michelet das "Kalken" von Dachziegeln mit einer Mischung von Sand und Kalk. Nach ca. acht bis 10 Monaten sind die Austernbabys bereits vier bis sechs Zentimeter groß. Nun ist es Zeit, die Ziegel oder sonstige "Collecteurs" (es gibt auch andere Sorten geeigneten Substrates wie z.B. PVC-Plastikröhren) samt den noch zarten Austernbabys vorsichtig wieder aufzusammeln und zum Hafen zu bringen. Nun beginnt eine weitere, arbeitsintensive Phase, welche die französischen Austernbauern als "Détroquage" bezeichnen. Das Genie des oben erwähnten Maurers Michelet wird nun offenbar: Die Austernbabys können einzeln mit einem speziellen Messer mitsamt der Kalkschicht vom Dachziegel abgemeißelt werden, und das ohne die Schale der Austernbabys zu beschädigen. Die Einteilung erfolgt in zwei Größen. Größere Austernbabys sind im Handel wertvoller als Kleinere, zumal sie den Austernbauern in den eigenen Kultivierungsparks Wachstumszeit sparen und die Austern mit zunehmender Größe eine höhere Überlebenschancen gegen ihre vielen natürlichen Feinde haben. Unweigerlich geht jedoch ein nicht unerheblicher Teil der Austernbabys trotz aller Behutsamkeit bei der Arbeit verloren. Manche der leicht beschädigten Austern könnten das Glück haben, in Kästen, die amüsanterweise als "Austernkrankenwagen" bzw. "Ambulance d'Huitres" bezeichnet werden, gerettet zu werden. Diese flachen, rechteckigen Holzkästen stehen in seichtem Meerwasser. Sie sind mit einem Deckel ausgestattet um die natürlichen Feinde der Austern fern zu halten. Der Deckel ist lediglich ein passender Holzrahmen, der mit einem netzartigen Material bespannt wurde. So kann Wasser- und Planktonaustausch den kleinen Austern zu Gute kommen. Bald darauf scheiden sich die Wege. Viele der Austernbabys
müssen sich von ihrer Heimat, der Buch von Arcachon verabschieden.
Sie werden an Austernbauern in der Bretagne, der Normandie und
Irland verkauft, um in jenen Meeresgewässern zu starken
Austern heranzureifen. Der Rest der Austernbabys wird als Zöglinge
heimischer Austernbauern in der Bucht von Arcachon aufwachsen,
um nach ca. drei weiteren Jahren auf den Markt zu kommen. Die
Austernbauern der Bucht von Arcachon bestehen darauf, dass ihre
Austern danach erst eine Zeitlang in Klärbecken (auch als
"Claires" bezeichnet) mit besonders reinem und nahrhaftem
Meerwasser ausgesetzt werden. So kann etwaiger Sand oder Algen
von den Austern auf natürliche Art und Weise abgesondert
werden. Gleichzeitig wird den Austern der typische Rhythmus der
Meeresgezeiten abgewöhnt. Die Austern bleiben als Folge
länger verschlossen, um später auch bei einem ausgedehnteren
Transport zuverlässige Frische zu gewährleisten. Dabei
wird der Wasserpegel im Claire kontrolliert gesenkt und erhöht.
Dies ist ein wahres Krafttraining für den Schließmuskel
der Austern. Diese letzte Phase wird als "Trompage"
bezeichnet. Erst jetzt dürfen sich die Austern der Bucht
von Arcachon dem Genießer als die renommierte "Huître
Arcachonnaise" präsentieren. Darüber hinaus lassen
sich in dieser Gegend auch "Fines" und "Spéciales"
mit einem grauen bis hin zu grünlichen Fleisch-Farbton (ähnlich
wie in der nördlich gelegenen Austerngegend Marennes-Oléron)
finden. Überdies gibt es auch vorzügliche Europäische
Austern, die in dieser Gegend gerne als "Gravette"
bezeichnet werden. * Frankreich Inhalte auf Austern.com sind urheberrechtlich geschützt. Berichtigungsvorschläge werden dankend entgegengenommen. All contents © Austern / McCabe.us, John W. McCabe Site Archive Kontakt (Impressum) |