Marennes-Oléron
John McCabe

Die weltberühmte Austerngegend "Marennes-Oléron" befindet sich im Küstengebiet der französischen Region Charente-Maritime. Sie erstreckt sich von der Mündung des Flusses Charente, über die Ostküste der Insel "Ile d'Oléron", über Marennes und Umgebung, bis in den Norden der Gironde-Mündung. Das "Valleé de la Seudre" gleicht einem komplizierten Strickmuster, da es von unzähligen Kanälen durchzogen ist. Dieses Gebiet südlich von Marennes weist zahllose Verfeinerungsbecken (u.a. um La Tremblade, Arvet, Etaules, Chaillevette, Mornac, Nieulle-sur-Seudre...) auf.

Marennes-Oléron ist die bei weitem größte Austernkultivierungsregion Europas. Anbauflächen und Verfeinerungsbecken (Claires) umfassen ca. 6.000 ha. Zwischen 45 - und 60.000 Tonnen Austern werden hier jährlich produziert. 45% aller französischen Austern stammen aus dieser Gegend.

Marennes-Oléron ist wahrlich eine einzigartige Austerngegend. Die Pazifische Auster ("Crassostrea gigas") fühlt sich in diesen Gewässern pudelwohl, ja vielleicht sogar noch wohler als in ihrer ursprünglichen asiatischen Heimat. Sie vermehrt sich hier fast wie eine nie ermüdende Gebärmaschine und das auf ganz natürliche Art und Weise. Es gibt dort "Meeresbauernhöfe", wo es rein um die Pflege der kleinen Austernbabys geht (mehr dazu im Bericht zu "Arcachon"). Die Austernbabys werden dann unter anderem an die Austernbauern in den (kühleren) nördlichen Küstengebieten Frankreichs verkauft, wo die Pazifische Auster nur sehr unzuverlässig laicht.

Des Weiteren hat Marennes-Oléron sehr vorteilhafte natürliche Umweltbedingungen: Reine Gewässer und eine riesige Bucht im Windschatten der großen Insel Oléron. Dieser Bucht werden vom Fluss Charente und vielen kleinen Bächen Nährstoffe zugeführt. Jeder Auster steht rund um die Uhr ein wahres Festmahl zur Verfügung, da auch der Atlantik ständig für Planktonnachschub sorgt. Dies führt zu besonders geschmackvollen und fleischigen Austern.

Der reisende Austernliebhaber kann getrost ein wenig in dieser idyllischen Gegend verweilen und sich ein Dutzend frische und günstige Austern an den vielen Austernständen genehmigen. Bei der Vielzahl der "Marennes-Oléron-Austern" braucht man fast schon ein "Austernlexikon" um alle Facetten des Austerngenusses erfahren zu können. Es gibt nämlich neben den so genannten "Huîtres de Parc" (Parkaustern) noch andere Austernsorten mit verführerischen Bezeichnungen wie etwa "Fine de Claires", "Spéciale de Claires", "Fine de Claires - Verte Label Rouge" oder gar "Spéciale - Pousse en Claire - Label Rouge". Alle Sorten schmecken hervorragend und bedienen aufgrund ihrer geschmacklichen Eigenarten jeden noch so ausgefallenen Gusto.

Die "Huîtres de Parc" sind die günstigsten Austern im Angebot. Sie stammen direkt aus den Kultivierungsparks im Meer. Es sind vorzügliche Austern, die den klassischen Meeresgeschmack dieser Region wiedergeben und jeden Austernliebhaber mehr als zufrieden stellen dürften. Die anderen Sorten im Angebot sollte sich jedoch kein Gourmet entgehen lassen.

Geheimnisvolle Bezeichnungen un Methoden

Die Austernbauern dieser Region haben die Austernkultivierung über Jahrhunderte zu einer wahren Kunst erhoben und verschönern viele ihrer Austern zusätzlich mit einem besonderen Pinselstrich der Natur: Smaragdgrün! Die Braut des Sonnenkönigs Ludwig des XIV, Madame de Maintenon, bemerkte einst in der königlichen Küche, dass ein Anteil des Fleisches der angelieferten Austern einen grünen Farbton aufwies. Entsetzt meldete sie diesen offensichtlichen Vergiftungsanschlag dem König. Der König klärte sie auf, dass dies eine Besonderheit der von ihm längst verehrten Region "Marennes" sei und keinesfalls Grund zur Sorge bestünde. Die inzwischen weltweit legendären "grünen Marennes" beruhen auf einer besonderen Veredlungsmethode dieser Gegend.

Eine Grundvoraussetzung dafür sind die speziellen Austernbecken dieser Gegend. Sie werden umgangssprachlich als "Claires" bezeichnet Ein "Claire" ist ein rechteckiges Becken, das sich in der seichten Gezeitenzone nahe der Mündung eines Flusses oder auch kanalverbunden etwas weiter im Inland befinden kann. Die Marennes-Oléron-Claires sind durchschnittlich ca. 50cm tief, nur selten über 500m² groß und mit einer niedrigen "Mauer" (z.B. aufgehäufter Boden, Holz, Zement usw.) versehen. Man findet üblicherweise eine größere Anzahl dieser Becken nebeneinander, die auf den ersten Blick in ihrer Symmetrie wie "Wasserfelder" erscheinen. Wie die Bezeichnung vermuten lässt, bieten diese Becken den vormals "wilden" Austern die Möglichkeit, ihr Schönheitsbad in aller Ruhe zu genießen und sich von dem lästigen Schlamm und Sand des unruhigen Meeres zu befreien ("klären"). Diese Claires sind reich an Plankton so dass sich die Austern auch einen großen Snack genehmigen können. Die unterschiedlichen Mischungen des Meerwassers mit Süßwasser führen zu den kleinen aber feinen Unterschieden in Aussehen und Geschmack.

Claires werden jedes Jahr im Frühling trockengelegt und "ausgefegt". Dieser auch als "Parage" bezeichnete Frühjahrsputz dient der Entfernung von unerwünschtem Algenwuchs und zahlreicher anderer Muscheln und Meerestiere. Mindestens alle drei bis vier Jahre erfahren sie zusätzlich eine besonders intensive Reinigung. In der Marennes-Oléron-Gegend werden teilweise auch stillgelegte Salzgärten als Claires genutzt. Da sie wasserundurchlässige Böden aufweisen, bieten sie ideale Voraussetzungen. Andere Verfeinerungsbecken werden in den wasserundurchlässigen Mergelboden gegraben. "Claires" dieser Art gibt es übrigens nicht nur in der Marennes-Oléron-Gegend. Das Marennes-Oléron-Gebiet sorgt jedoch für 80% aller in Claires veredelten Austern in Frankreich.

Bei den Marennes-Oléron-Austern kommt es in erster Linie auf die "Claires" an. Dabei geht es fast ausschließlich um die Veredlung der "Creuses" bzw. der Pazifischen Auster ("Crassostrea gigas"). Im Gegensatz zu den anderen Austerngebieten Frankreichs sind in dieser Gegend der Großteil der "Huîtres de Parc" ("Parkaustern") aus den Meeresbuchten für die zusätzliche Verfeinerung in den Claires bestimmt. Der Hauptgrund dafür ist, dass die "Claires" neben dem "Klären" auch die Qualität der Austern erheblich verbessern. Draußen in "freier Wildbahn" leben die Austern oft sehr eng aneinander gedrängt - sei es in Säcken (sog. "Poches") auf niedrigen Stahltischen oder eng gesät direkt auf dem Meeresboden. Obwohl es kaum an Plankton und anderen Nährstoffen mangelt, konkurrieren sie untereinander und behindern sich im Wachstum gegenseitig. Ganz anders ergeht es den Austern später in den "Claires". Nach Jahren in den Kultivierungsparks ist dieser Schlussaufenthalt der Austern wie ein Besuch in der Präsidentensuite eines Luxushotels. Da die Claires reich an Plankton und Mikroalgen sind, bietet sich den Austern ein wahrer "Hochgenuss im Überfluss". Gleichzeitig verlieren die so gemästeten Austern dadurch etwas von ihrem typischen "meerigen" Geschmack. Die feineren Geschmacksnoten werden durch die Süßwassermischung bestimmt und sind ein gut gehütetes Geheimnis.

Und noch eine Besonderheit kommt den Marennes-Oléron-Austern zu Gute: In manchen Claires entwickelt sich ganz natürlich eine Mikroalge mit Namen "Blaue Navicula" (wissenschaftlich als "Navicula ostrea" oder auch "Haslea ostrearia" bezeichnet). Diese besondere Mikroalge wird in den letzten Jahren auch in kommerziellen Laboren gezüchtet und an Austernbauern verkauft. Die Austern in den Claires filtern mit großem Eifer auch diese winzige Alge, was zu einer smaragdgrünen Färbung ihres Fleisches führt. Später stellt sich die Smaragdgrüne den Austernliebhabern als klassische "Marennes-Oléron-Auster" vor.

In manchen Claires setzen die Austernbauern lediglich ca. 30 bis 40 Austern pro Quadratmeter aus. Nach zwei bis vier Wochen werden sich diese Austern als "Fines de Claires" brüsten können. Sie sind nun etwas fleischiger und ein wenig geschmackvoller. Man findet sie sowohl mit grüner ("verte") als auch ohne zusätzliche Färbung ("blanche") im Angebot der Händler wieder.

In anderen Claires werden hingegen nur etwa 5 bis 10 Austern pro Quadratmeter "ausgesät". Diese glücklichen Austern dürfen dort 2 bis 4 Monate (manchmal auch länger) lang kuren. Letztlich entsteht eine außerordentlich fleischige und sehr schmackhafte Auster, die nun den ehrwürdigen Titel "Spéciale de Claires" tragen darf. Sie sind ebenso als "verte" oder "blanche" erhältlich.

"Label Rouge" bedeutet Perfektion! Die Fleischkonsistenz, der Geschmack, die optimale Schalenform - alles muss stimmen! "Fine de Claires - Verte Label Rouge" fallen in diese Kategorie - und wie die Bezeichnung verrät, ist ihr Fleisch auch klassisch grün gefärbt. "Spéciale - Pousse en Claire - Label Rouge" bezeichnet eine Auster der Spitzenklasse. Mindestens vier (manchmal sogar mehr als acht) Monate dürfen derart ausgewählte Austern in den Claires verbringen. Höchstens 5 Austern pro Quadratmeter sind gestattet. Sie sind außergewöhnlich fleischig, übertreffen sich im Geschmack, weisen eine perfekte Schalenform auf und wirken wie kleine grüne Smaragde.

Bei allen Marennes-Oléron-Austern lacht das Herz jedes Austernliebhabers!

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*** Kleines Lexikon französischer Austernbegriffe

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