Die "Belle Epoque"
John McCabe
Der Zeitraum zwischen 1871 und 1914 wird historisch als die
Belle Epoque bezeichnet. Der Friede von Frankfurt am 10.
Mai 1871 beendete formell den Deutsch-Französischen Krieg
und läutete eine Epoche des Friedens ein. Sie währte
bis in den Sommer des Jahres 1914, dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Wann genau die Belle Epoque anfing und endete ist umstritten.
Obwohl französisch geprägt, wird die Dauer dieser Epoche
in den verschiedenen Ländern Europas sowie in Amerika etwas
unterschiedlich bemessen. Vielleicht sollte am Ursprung der länderübergreifenden
Begeisterung angesichts wahrlich einschlägiger Neuentwicklungen
in Wissenschaft, Technik, Literatur und Kunst angesetzt werden.
Fast überall konnte man in immer kürzeren Zeitabständen
neue bewundernswerte Phänomene in fast jedem Bereich des
täglichen Lebens erfahren.
Die einzigartige "Weltausstellung 1889" in Paris
ließ ca. 30 Mio. Besucher das anstehende 20. Jahrhundert
erahnen. Zum ersten Mal war das Messegelände elektrisch
beleuchtet und die Öffnungszeit bis auf kurz vor Mitternacht
verlängert. Bereits zwei Jahre vor der Eröffnung hatte
der Ingenieur Gustave Eiffel damit begonnen, 15.000 zehn Millimeter
dicke Stahlteile mit 7 Mio. Löchern zu versehen. Letztlich
ragte ein mächtiger, ca. 7.000 Tonnen schwerer Stahlturm
einem mahnenden Zeigefinger gleich aus dem Messegelände
hoch in den Himmel, welcher keinen Zweifel an einer von Technologie
geprägten Zukunft der Menschheit ließ.
Die Neuentdeckungen waren zahlreich:
In der Medizin wurde 1882 ein Herr Robert Koch mit der Entdeckung
des Tuberkelbazillus gemeldet (und noch mal 1884 im Zusammenhang
mit Cholera). 1884 entdeckte Herr Friedrich Löffler die
Diphtherie. Gab es 1881 den ersten Ortsfernsprechverkehr in Deutschland,
konnte man 1884 plötzlich schon in öffentlichen Telefonzellen
in Paris telefonieren. Kaum hatte Gottlieb Daimler den Benzinmotor
vorgestellt, führte Carl Benz 1886 sein erstes Auto mit
Speichenrädern und Vollgummireifen ein, nur um es bereits
1888 mit den luftgefüllte Reifen eines Mr. John Boyd Dunlop
betreiben zu können. Die französische Revolution lag
hundert Jahre zurück und die Literatur im westeuropäischen
Raum und der USA erblühte in fast zügelloser Freiheit.
Romantische und sozialkritische Lektüre war gefragt wie
nie zuvor. Werke wie etwa "Die Schatzinsel" (1883)
von Robert Louis Stevenson waren ebenso begehrt wie "Jenseits
von Gut und Böse" (1886) von Friedrich Nietzsche oder
gar die Entdeckung von Goethes "Urfaust" (Weimar 1887).
Im selben
Zuge brachte diese Epoche eine erhebliche Erweiterung der wohlhabenden
Bevölkerungsschicht einher. Zu den adligen Austernliebhabern
in Europa gesellten sich nun unzählige wohlhabende Industrielle,
Künstler, Intellektuelle und erfolgreiche Geschäftsleute
aller Art und in aller Welt. Die Belle Epoque war ein Zeitalter
der Lebenslust. So war es selbstverständlich, dass nahezu
jedes Mahl in den zahllosen diskreten Séparées
in Frankreich mit Austern begann. Die Königin des Meeres
vermählte sich damals zugleich unzertrennlich mit dem König
der Weine, dem Champagner - eine kulinarisch äußerst
gelungene Verbindung, die auch noch heute Bestand hat. Edle Austerngabeln
aus Silber galten zunehmend als selbstverständlicher Bestandteil
des feinen Bestecks.
Der
unaufhaltsame Erfindergeist dieser Epoche übertrug sich
auch auf die Austernindustrie. Schon 1860 gab es in den USA ein
Patent für ein "verbessertes Austern-Schürfnetz"
(Oyster Dredge; Wm. L. Force), das vereinfacht wie ein
großer Gartenrechen mit Schlitten funktionierte und gleichzeitig
die "aufgerechten Austern" einem Netz oder Sack zuführte.
Hinter einem Boot gezogen, konnte es effektiv enorme Mengen Austern
aus den früher fast unerreichbaren Tiefen der See fördern.
Ähnliche Austern-Schürfnetze gab es bereits längst
in Europa. Anfangs wurden Gestelle mit Netzen aus Seehundfell-Riemen
hinter Segelbooten hergezogen. Später wurden die Riemen
durch Eisenringe ersetzt. Dem folgte bereits 1868 ein weiteres
US-Patent (Thomas P. Sink; Abbildung),
welches vor allem das Heben des schweren Austernsacks aus der
Tiefe über ein ausgeklügeltes Rollensystem an Bord
des Austernbootes gewährleistete. 1892 stellte ein US-Patent
dann sogar einen regelrechten "Austern-Bagger" vor,
der die Austern mit Hilfe eines Förderbandes aus der Tiefe
schürfte (Henry R. Hilton & James. E. Wilson).

Überall in Europa und den USA sprangen während der
Belle Epoche mächtige Fabriken wie Pilze aus dem Boden,
oft in unmittelbarer Nähe der maritimen Handelswege. Ihr
Abwasser verschmutzte jedoch zunehmend die Binnengewässer.
Da Austern für das Filtern des Meereswassers seit jeher
zuständig sind, führte das giftige Abwasser der Industrie
umgehend zu ihrem Tod in vielen Küstengebieten Europas,
Asiens und den USA. Dadurch wurden auch Vergiftungen unter den
zahlreichen Austernliebhabern verursacht. Dies rief Meeresbiologen
auf den Plan, die Wasserqualität auf gesundheitsschädigende
Substanzen zu überprüften. Diese ernstzunehmende Sorge
vor schädlichem Abwasser prägt übrigens leider
noch heute jeden Austernbauer der Welt.
Der 1. Weltkrieg läutete das Ende der Belle Epoche sowie
zeitgleich den nahezu endgültigen Niedergang der einstmals
als unerschöpflich anmutenden Austernvorkommen Europas und
Amerikas ein.
Die Urzeit
Die Steinzeit
Die alten Griechen
Die Römer
Das Mittelalter
Die Renaissance
bis 19. Jahrhundert
Die Austernsammler
Die Weltexploration
und neue Austernarten
Belle Epoque
Historische Anekdoten
Die Geschichte der Austernkultivierung des 20. Jahrhunderts
bis heute wie auch ihre Pioniere können Sie hier einsehen:
Austernkultivierung
Die amerikanische Austerngeschichte können Sie unter
USA einsehen.
