Die alten Römer
John McCabe

Die endlosen Küstenregionen Italiens wiesen einst einen enormen Reichtum an Meeresfrüchten auf. Zur Zeit der alten Römer dominierten längst viele verschiedene Fischsorten, Muschelarten und andere Meeresfrüchte die Speisekarte. Austern waren hierbei besonders begehrt. Bei Festmahlen (und Orgien) der Schönen und Reichen durften sie einfach nicht fehlen. Dem römischen Kaiser Vitellius wird nachgesagt, dass er 1.000 Austern bei einem einzigen Mahl verschlungen haben soll. Bei den Römern bestand zudem nicht der geringste Zweifel, dass Austern ein mächtiges Aphrodisiakum darstellten, welches der römischen Liebesgöttin Venus höchstpersönlich zu verdanken war. Die durch Austern "gestärkte Manneskraft" übertrug sich zusätzlich auch auf das Schlachtfeld, wo sie förderlich für Mut und Entschlossenheit galt. Marcus Gavius Apicius, ein berühmter römischer Feinschmecker, lieferte im 1. Jahrhundert n. Chr. das umfassendste und berühmteste Kochbuch der Antike, das sich auch mit mehreren Zubereitungsarten der köstlichen Auster eingehend befasst. Dieses älteste Kochbuch wird ihm zu Ehren als "Apicius" bezeichnet und trägt den Titel "De re coquinaria" ("Über die Kochkunst").

Da Austern nun mal ein Leben lang ortsgebunden sind und nicht wie etwa die Fische vor den Menschen flüchten können, wurden sie an den Stränden und in den Buchten Italiens eifrig aufgesammelt. Letztlich wurden sie jedoch so knapp, dass manche wohlhabenden Römer bestimmte Buchten und Strände bewachen ließen. Dies brachte jedoch wenig bis nichts, so dass der Austernkultivierung zunehmend Beachtung geschenkt werden musste.

Darf man Plinius dem Älteren in seinem Werk "Naturgeschichte" glauben, so soll es unter den Römern einst ein klugen Mann namens Gaius Sergius bzw. Sergius Orata gegeben haben, der erstmals um 95 v. Chr. erfolgreich ein großes Kultivierungsbecken im Lukrinersee ("Lucrinus") anlegte. Dieser einstmals große See war mit dem Golf von Puteoli beim antiken Kurort Baiae verbunden (die Hafenstädte heißen heute Baia and Pozzuoli). Im Jahre 1538 wurde der Lukrinersee unerwartet von einem vulkanischen Berg namens Monte Nuovo ("Neue Berg") abgelöst. Nur ein winziger Bruchteil des Sees existiert heute.

Seine Austern waren äußerst beliebt und sehr teuer! Sie hatten sogar einen besonderen Namen: "Calliblephara" ("Austern mit wunderschönen Augenbrauen"). Bei den "Augenbrauen" handelte es sich um die Kiemenblätter bzw. Zipfel der Mantellappen (auch als "Bart" bezeichnet) im Inneren der Austernschale, welche den Weichkörper der Auster umgeben. Fand man dort eine leicht purpurne Farbe, dann galten sie im Handel als besonders begehrenswert. Ohnehin galten diese Austern bereits als die Besten überhaupt, weit kostbarer als die griechischen Austern oder gar jene, welche aus römischen Gebieten im nördlichen Europa importiert wurden.

Gemeinhin wird die Austernkultivierung der Römer in der heutigen Literatur als eher "einfach" abgetan. Angeblich sollen die Austern aus ihren natürlichen Wachstumsgebieten in der Adria lediglich jung eingesammelt und im Lukrinersee ausgesetzt worden sein. Manchmal werden auch Zweige bei der römischen Kultivierung erwähnt, die von einem Holzrahmen ins Wasser hingen. Einfach war die Kultivierung jedoch kaum. Im Gegenteil: die damaligen Methoden dürften nahezu jenen entsprechen, welche auch heute bei der Austernzucht eingesetzt werden. Einen kostbaren Hinweis dazu liefert eine sehr seltene römische Souvenirflasche des 3. Jahrhunderts (A.D.) aus entweder Baiae oder Puteoli (neun Exemplare dieser Glasflaschen sollen heute noch erhalten sein). In einem Bereich der Flasche ist ein Gebäude zu sehen, das oben die Inschrift "Ostriaria" enthält und auf die Austernzuchtbecken hinweisen dürfte. Besonders bemerkenswert sind die Seile, welche zwischen den Holzpfeilern hängen. Am Ende dieser Stränge befinden sich knapp über der Wasseroberfläche runde Objekte. Meiner Ansicht nach dürfte es sich um Netzsäcke handeln, die eine große Anzahl Austern enthielten. In diesen Säcken sind wohl junge Austern herangezüchtet und von Zeit zu Zeit aus dem Wasser hochgezogen, gereinigt und durchgerüttelt worden, um eine vorteilhafte Ausbildung der Schalenform zu erzielen. Im Wasser über dem Meeresboden hängend, wären sie von vielen ihrer natürlichen Feinde getrennt gewesen, so dass sie ungestört nahrhaftes Plankton zu sich nehmen hätten können. Zudem könnte eine große Reinheit erzielt worden sein, da sie nicht mit Sand oder Schlamm in Berührung gekommen wären. Sobald sie die gewünschte Handelsgröße erreicht hätten, dürften die handlichen Netzbälle an den Seilen aus dem Wasser gezogen worden sein: Perfekte Europäische Austern wären das Resultat gewesen! Ich wage es den Römern zuzuschreiben, diese (heute als "modern" bezeichnete) Austernzuchtmethode bereits damals erfolgreich praktiziert zu haben.

Dem Austernzüchter Sergius Orata ist übrigens auch die Erfindung geheizter Fußböden zu verdanken. Die kühle Temperatur im Winter verursachte regelmäßig erhebliche Verluste unter seinen Austern. Um dem entgegenzuwirken, errichtete er ein großes Wasserbecken auf Pfeilern. Daneben baute er eine gewölbte Feuerstelle ("Praeferium"). Das Feuer spendete warme Luft, die durch Schächte und Röhren unter und um das Becken geleitet wurde. Dies sorgte für ausreichend Wärme zum erfolgreichen Überwintern der darin deponierten Austern. Angespornt durch diesen Erfolg baute er mehrere dieser "aufgehängten Becken" (wie seine Zeitgenossen sie nannten). Überwinterungsbecken für Austern werden heute in kühleren Austernzuchtregionen wieder erfolgreich eingesetzt (z.B. in Deutschland und Schottland).

Aber trotz der erfolgreichen Austernkultivierung blieben die Austern bei den Römern dennoch eine kulinarische Rarität. Der Wert einer Auster im römischen Reich wurde mit ihrem Gewicht in Gold berechnet. Daher importierten die Römer Austern aus ihren nordeuropäischen Gebieten. Ihre Sklaven mussten sie en masse an den Küsten der Bretagne und England sammeln. Danach wurden die Austern - verpackt mit Schnee - regelmäßig über die Alpen hinweg nach Rom geschleppt. Manche Historiker vermuten sogar, dass Julius Caesar im Jahre 55 v. Chr. bei der Planung seiner erfolgreichen Eroberung von England von seinem Begehren nach den dort reichhaltig vorhandenen Austern angespornt wurde. Eine Bemerkung des Staatsmann und Zeitgenossen Sallust (Gaius Sallustius Crispus; 86-34 v. Chr.) im Jahre 50 v. Chr. scheint dies zu bestätigen: "Die armen Engländer. Es offenbart sich letztlich doch etwas Gutes unter ihnen: sie können Austern beschaffen."

Nach dem Tod von Sergius Orata wurde seine Erfindung des Überwinterungsbeckens von den Römern weiter verfeinert und führte schließlich zu den sog. "aufgehängten Baderäumen" ("balneae pensiles"). Völlig unabhängig von den vulkanisch erwärmten Badehäusern war es wohlhabenden Römern nun möglich, überall im Reich im warmen Badewasser zu plantschen. Daraus entwickelten sich auch der beheizte Fußboden (Hypocaust-Technik; Hypocaustum). Sie wurde vom dem wohl berühmtesten römischen Architekten Vitruvius (Marcus Vitruvius Pollio) auch als "suspensura caldariorum" bezeichnet. Einfach erklärt war dies lediglich extern abgeleitete heiße Luft zwischen einem doppelten Fußboden. Als zusätzlicher Bonus für die komfortbedürftigen Römer in den eher kühlen Gefilden des Reiches (wie z.B. dem heutigen Deutschland) ließen sich die Architekten die Installation von Hochlochziegeln ("tubuli") in den Wänden einfallen. Durch den so geschaffenen Abzug von Rauch und Dampf sorgten diese Ziegel zusätzlich für Wärme.

In Trier kann heute noch ein derart beheiztes römisches Haus aus dem 2. Jahrhundert besichtigt werden. Der "Austernkönig" Sergius Orata wäre sicherlich von der Fortentwicklung seiner Idee begeistert gewesen.

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Die Geschichte der Austernkultivierung des 20. Jahrhunderts bis heute wie auch ihre Pioniere können Sie hier einsehen: Austernkultivierung

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