Symbolik der Perlen im Oströmischen Reich Vorbei war die Zeit, dass frühe christliche Römer im Weströmischen Reich ständig um ihr Leben bangen mussten. Vorbei war jedoch auch die Zeit, dass Christen in ihrer Armut und Unterdrückung keinen Gedanken an Gold und kostbare Perlen verschwendeten. Diese biblischen Beispiele der Vergänglichkeit irdischer Schätze waren nun auch bei den Christen sehr begehrt - so begehrt, dass manche Historiker die Ansicht vertreten, dass mehr Gold und Perlen im christlichen Oströmischen Reich, als im gesamten ehemals heidnischen römischen Reich vorhanden waren. "Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, je eines der Tore war aus einer Perle..." lässt die Bibel in der Offenbarung verlauten. Man konnte bei der Betrachtung einer Perle den Reichtum und die Pracht des Himmelreiches erahnen (siehe auch Christen). Überall konnte man nun Perlen bewundern. Wohlhabende Männer, Frauen und Würdenträger trugen goldene Kreuze mit kunstvoll eingearbeiteten Perlen. Die betuchte Damenwelt trug perlenbestückte Hals- und Armbänder. Perlen befanden sich auf Bibeleinbänden, in den Dekors zeremonieller Gewänder, Kirchengefäßen und auf den Reliquien der Heiligen. Als die Sophienkirche (oder "Hagia Sophia") von Kaiser Justinian prachtvoll restauriert und ausgebaut wurde, lies er die Kanzel mit tausenden Perlen bestücken. Justinian schuf mit dem Bau vieler prachtvoller Kirchen irdische Konstrukte, in denen Menschen dem Himmel etwas näher treten durften. Umgeben von der allgegenwärtigen Pracht der Kirchen konnte der Reichtum und die Schönheit des Himmelreiches erahnt werden. Der zeitgenössische Historiker Procopius brachte es beim Besuch der prachtvollen Sophienkirche auf den Punkt als er anmerkte "...die Seele sich zum Himmel hebt und man spürt, dass Gott sehr nahe ist". Die primäre Darstellung des Goldes und der Perlen war in erster Linie eng mit der heiligen Schrift der Bibel verbunden. Das unzerstörbare Gold erinnerte an die glänzenden Straßen des neuen Jerusalems: "...und die Straße der Stadt war reines Gold, wie durchsichtiges Glas." Die Symbolik der Perlen wiederum war sehr vielschichtig, fast wie ihr Perlmuttbelag selbst. Die betörend schönen, durch nichts weltliches getrübten Perlen wirkten wie das leuchtende Zeichen des durch keine irdischen Versuchungen getrübten Glaubens der wahren Christen. Sie symbolisierten in erster Linie Reinheit und Seligkeit. Sie verkörperten gewissermaßen das Bestreiten eines christlichen Lebens als die reinen Perlen Gottes. Das Mysterium der Perlenbildung selbst wurde als Beispiel einer seltenen und kostbaren Symbiose zwischen Himmel und Erde verstanden, worin sich die unendliche Macht, Größe und Weisheit Gottes widerspiegelt. Eine schlichte Muschel wurde vom Himmel auserkoren um aus ihrem Fleisch und Blut einen reinen Edelstein für die Menschheit hervorzubringen. Folglich symbolisierte die Perle auch die Menschwerdung Jesu in der Jungfrau Maria. Perlen besitzen im Gegensatz zu allen anderen Edelsteinen besondere Eigenschaften, welche sich auch auf uns Menschen übertragen lassen. Wie beim Menschen ist ihr Ursprung rein organisch. Ihre Natur ist ebenso wie die menschliche oft widersprüchlich, da Perlen zwar hart sind, jedoch gleichzeitig auch empfindlich und vergänglich. Zugleich sind sie, im Gegensatz zu anderen Edelsteinen, nicht schwer, sondern ungewöhnlich leicht. Sie sind der einzige Edelstein, der von Mutter Natur bereits geschliffen wurde. Jede Naturperle der Welt ist, wie auch jeder Mensch, einzigartig. Es gibt keine zwei Naturperlen, die identisch sind. Ebenso gibt es keine Naturperle, welche völlig makellos ist. Alle Naturperlen weisen auch bei augenscheinlich bester Symmetrie und Glanz irgendwo einen kleinen Fehler auf. Gerade das zeichnet sie als Naturperlen aus und wahrt ihre Einzigartigkeit. Perlen verkörperten auch das Symbol irdischer Macht.
So durften sie nicht in den Kronen christlicher Kaiser und an
den Kopfbedeckungen vieler hoher Würdenträger fehlen.
Schon von weitem konnte man den Träger als eine außerordentlich
bedeutende Persönlichkeit identifizieren. Die Bibel sagt
sehr deutlich, dass es nie einen größeren König
gegeben hat In den berühmten Justinian- und Theodora-Mosaiken der Kirche San Vitale in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert kann man die große Bedeutung der Perlen als zwingenden Anteil der oströmischen Reichsführung deutlich erkennen. Kaiser Justinian trägt ein besonderes Diadem, das als Vorläufer der späteren klassischen Kronen Europas gilt. Es ist mit zahlreichen Perlen versehen und soll dem Volk zeigen, dass Kaiser Justinian nicht nur politisch an der Spitze des Staates steht, sondern auch eine Führungsrolle im christlichen Sinne erfüllt. Seine bezaubernde Frau Theodora wird in einem weiteren Mosaik abgebildet und war ebenso außerordentlich reich mit Perlen ausgestattet. Es wird erzählt, dass sie ursprünglich lange Perlenstränge als Ohrringe trug. Als diese jedoch zu schwer für ihre Ohrläppchen wurden, soll sie sich ein Diadem angeschafft haben, von dem sie dann ihre langen Perlenstränge (sog. "Pendilien") problemlos herabhängen lassen konnte. Diese "Pendilien" waren jedoch schon lange vor Theodora ein Bestandteil des oströmischen Kronenschmucks. Der Kaiser Marcian (Amtszeit 450-457 n. Chr.) trug diese "Kronen-Anhänger" bereits lange vorher. Traditionsgemäß waren die Pendilien eines Kaisers kurz (über der Schulter) und hingen hinter den Ohren. Die Pendilien der kaiserlichen Gemahlin waren traditionsgemäß lang und hingen vor den Ohren. Sie blieben bei den Herrschern im Oströmischen Reich bis ins 15. Jahrhundert in Gebrauch. Die enormen tropfenförmigen Perlen (sog. "Barockperlen") unter den Ohren des Kaisers Justinian erinnern im Mosaik auf den ersten Blick an "Ohrringe", stellen jedoch lediglich die Ausläufer der Pendilien an seiner Krone dar. Beide Mosaike zeigen auch andere Beispiele der Perlen-Nutzung
im Oströmischen Reich. Im Theodora-Mosaik ist auch ein mit
Perlen verzierter, goldener Kelch abgebildet, der an ein Kirchengefäß
erinnert. Theodoras höfisches, weibliches Gefolge trägt
teilweise mit Perlen verzierte Hals- und Armbänder. In diesem
Perlenschmuck dürfte jegliche christliche Symbolik fehlen.
Es handelt sich scheinbar lediglich um "Modeschmuck"
für die Damen, wie er eben zur Zeit Kleopatras, im heidnischen
Rom oder auch heute noch üblich ist. Im Justinian-Mosaik
ist ein Bibeleinband mit Perlen bestückt. Die Häupter
Justinians und Theodoras sind zusätzlich jeweils mit einem
goldenen Nimbus bzw. einer Aureole (Heiligenschein) umgeben,
was unterstreicht, dass sie beide als sakrale Majestäten
gegolten haben. Als die Perlen um das 9. Jahrhundert zunehmend auch in den
westeuropäischen Reichen an Beliebtheit gewannen und ihre
Gunst alsbald weite Verbreitung fand, erwuchs eine Abhängigkeit
vom Oströmischen Reich. Sowohl kulturhistorisch als auch
wegen des Nachschubs dieses hochwertigen Schmucks war das Oströmische
Reich bald unersetzlich. Ein Herrscher, der sich eine ordentliche
Krone wünschte, war gut beraten sich an die Goldschmiede
von Konstantinopel zu halten. War ihm dies nicht möglich,
so musste er zumindest dafür sorgen, dass seine Goldschmiede
den hohen Qualitätsstandard Konstantinopels ausreichend
nachahmen konnten. Diese uralten oströmischen Traditionen
setzten Trends an denen sich die westliche Welt orientierte. Vielerorts in Ost- und Westeuropa kann man noch heute die
oströmische Goldschmiedekunst bewundern. Beispielhaft ist
die berühmte Pala d'Oro ("Goldtafel") im Dom San
Marco von Venedig. Dabei handelt es sich um eine große
Altartafel, welche eindrucksvoll die überragende Emailkunst
mit aufwendigen Goldarbeiten und reichen Edelsteinintarsien in
mehreren christlichen Motiven verbindet. Auf der Tafel wurden
526 Perlen, 330 Granate, 320 Smaragde, 255 Saphire, 137 Emailmedaillons
und 83 Emailplatten eingearbeitet. Der Großteil der Bestandteile
der Tafel wurde während des 4. Kreuzzuges von westeuropäischen
"bewaffneten Pilgern" aus dem christlichen Konstantinopel
gestohlen. Die alten Römer Oströmisches Reich Renaissance bis 19. Jahrhundert 20. Jahrhundert Inhalte auf Austern.com sind urheberrechtlich geschützt. Berichtigungsvorschläge werden dankend entgegengenommen. All contents © Austern / McCabe.us, John W. McCabe Site Archive Kontakt (Impressum) |