Kultivierungsmethoden
John McCabe

Die Methode der Austernkultivierung wird in erster Linie von den natürlichen Gegebenheiten eines Kultivierungsgebietes und der Austernart bestimmt. Manchmal können mehrere Kultivierungsmethoden erfolgreich eingesetzt werden und manchmal kann auch nur eine einzige Methode dem Austernbauern zu handelstauglichen Austern verhelfen. Obwohl alle kulinarischen Austern ähnliche Umweltgegebenheiten bei der Kultivierung schätzen, bestehen jedoch auch Unterschiede. Manche Austernarten sind flexibler bzw. anspruchsloser als andere. Beispielsweise gilt die berühmte Pazifische Auster als sehr anpassungsfähig, robust und wachstumsfreudig. Daher wird die Pazifische Auster auch am liebsten kultiviert. Sie gedeiht z.B. im Brakwasserbereich stiller Meeresbuchten, wo das Süßwasser der mündenden Flüsse sich mit dem einströmenden und auslaufenden Meerwasser der Gezeiten mischt und folglich den Salzgehalt ständig verändert. Sie gedeiht ebenso in Meerwasser mit verhältnismäßig hoher Salinität. Ein Austernbauer kann die Pazifische Auster oft auch im seichtesten Gezeitenbereich kultivieren, wo sie problemlos mehrere Stunden am Tag ohne Wasser auskommen wird. Andererseits lässt sich diese Austernart auch in tieferen Gewässern bis zu 40m finden. Sie gedeiht in kühlen Gewässern wie z.B. in der Normandie oder im deutschen Wattenmeer. Ebenso fühlt sie sich in den warmen Küstengewässern Südfrankreichs oder der Westküste Mexikos wohl. Auch extreme Temperaturunterschiede im Verlaufe eines Jahres kann sie oft wunderbar ertragen. Beispielsweise liegen die Temperaturen im berühmten Austernkultivierungsgebiet "Bassin de Thau" am Mittelmeer zwischen ca. 5° C im Winter und 28° C im Sommer. Diese Kurzbesprechung der Kultivierungsmethoden bezieht sich somit insbesondere auf die Pazifische Auster, die bei weitem bedeutendste kulinarische Auster der Welt. Alle erdenklichen Austernkultivierungsmethoden der Welt sind auch für die Pazifische Auster geeignet. Manche der erwähnten Methoden werden bei anderen Austernarten jedoch nur selten oder überhaupt nicht angewendet.

Die Böden
Wie an Land sind auch die Böden im Meer sehr unterschiedlich in ihrer Beschaffenheit.

Weiche, schlammige Böden sind für alle Austern problematisch, da sie darin verschlicken bzw. versinken. Weiche Böden können sich jedoch auch zur erfolgreichen Austernkultivierung eignen. Ein Austernbauer muß lediglich eine Kultivierungsmethode einsetzen, welche seine Zöglinge vor dem Verschlicken schützt. Er wird vermutlich die Leinen-, Pfosten- oder Floßmethode wählen, womit die Austern vom tödlichen weichen Boden verschont bleiben und in sicherer Höhe über dem Boden heranwachsen. Ist das Wasser besonders reich mit Nährstoffen, dann wird der Austernbauer trotz der nachteiligen Bodenbeschaffenheit manchmal schon nach ca. 20 Monaten hervorragende Austern ernten.

Feste Böden gelten als vorteilhaft für die Austernkultivierung. Austern mögen von Natur aus festere Böden, weil sie, im Gegensatz zu mehreren anderen Muschelarten, nur auf der Oberfläche des Bodens leben können. Festere Böden sind auch für die Austernbauern vorteilhaft. Bei der ständigen Pflege ihrer Zöglinge müssen sie nicht in Wind und Wetter zusätzlich auch noch durch schlammige Böden stiefeln. Bei einer festen Bodenbeschaffenheit wird ein Austernbauer absehbar die Bodenkultivierung und/oder die Tischkultivierung wählen.

Die Floßkultivierung ist wiederum völlig unabhängig von der Beschaffenheit der vorhandenen Meeresböden, da die Austern in Netzen und Körben heranwachsen, welche von Flößen herabhängen.

Strömung
Es gibt neben der Bodenbeschaffenheit jedoch auch mehrere andere wichtige Gesichtspunkte. Besonders wichtig ist ausreichende Nahrungszufuhr. Austern sind zwar außerordentlich tüchtige Filtertierchen, sind jedoch ortsgebunden bzw. können ihre Nahrung nicht verfolgen. Die Nahrung muß also zu ihnen kommen. Natürliche Strömungen müssen vorhanden sein, damit sie vorbeitreibendes Plankton abfangen können. Der Schub und Sog der Gezeiten des Meeres sorgt für diese vorteilhaften Strömungen.

In Gebieten, wo die Gezeiten nicht für die notwendigen Strömungen sorgen, können auch zuverlässige Winde für vorteilhafte Strömungen sorgen. Beispielhaft dafür ist die höchst erfolgreiche Austernkultivierung im Binnensee namens "Bassin de Thau" am Mittelmeer.

Die Zonen im Küstenbereich
Bei der Entscheidung für eine Kultivierungsmethode spielen sich die unterschiedlichen Zonen im Küstenbereich ein.

In manchen Gebieten der Welt steigt die Flut höher und legt bei der Ebbe mehr Meeresboden frei als in anderen Gebieten. Der eine Austernbauer kann also bei der Ebbe nach Wunsch fast täglich alle seine Austern pflegen, während der nächste Austernbauer seine Zöglinge vielleicht monatlich nur ein paar Tage lang bearbeiten kann. Manche Austernbauern bekommen ihre Austern bei der Ebbe nie zu sehen, weil sie in tieferem Gewässer angebaut werden.

Die Küstenzone, welche unter direktem Einfluß der Gezeiten liegt, wird als das "Litoral" bezeichnet. Dieses Litoral kann wiederum in Zonen unterteilt werden. Die Zone, wo das Meerwasser bei der Flut lediglich den Rand zwischen Land und Meer mit Wasser unregelmässig berührt oder etwas bespritzt, wird als "Supralitoral" (oder auch "Spritzwasserzone") bezeichnet. Dieser Bereich ist einfach zu trocken für die Austernkultivierung.

Etwas tiefer liegt das "Eulitoral" (oder auch als "Wechselflutzone" bezeichnet). Hier spielt sich eine sehr auffällige Ebbe- und Flutbewegung regelmäßig ab. Der obere Bereich dieser Zone ist allgemein weniger "feucht", da er lediglich für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum geflutet wird. Der untere (tiefer gelegene) Bereich ist sehr feucht, da er länger mehr oder minder geflutet ist. Beide Bereiche dieses "Eulitorals" sind für die Austernbauern interessant. Im oberen Bereich kann ein Austernbauer z.B. Frischhaltebecken für seine marktreifen Austern ausgraben, welche er jeder Zeit bearbeiten kann. Der untere Bereich ist besonders interessant, zumal die Austern hier fast jeden Tag zwei Mal kurzfristig trocken liegen und er sie somit auch zu Fuß erreichen und bearbeiten kann. Unerwünschte "Austernliebhaber" wie z.B. Seesterne und Krabben kann er zwar problemlos entsorgen, wird sich jedoch oft auch mit der Beseitigung von Algenwuchs, Seepocken, Schwämmen und sonstigen unerwünschten Lebewesen beschäftigen müssen, welche sich in dieser Zone ebenso wohl fühlen. Dieser Kultivierungsbereich eignet sich sowohl für die Boden- wie auch die Tischmethode.

Etwas weiter hinaus in dieser Gezeitenzone liegt das sogenannte "Sublitoral". Dieser Bereich ist allgemein auch bei der Ebbe mit Wasser bedeckt. Der obere (seichteste) Bereich dieses Sublitorals kann auch als "obere sublitorale Randzone" bezeichnet werden. Sobald die Sonne und der Mond in einer Linie mit der Erde (also beim Vollmond oder Neumond) stehen, kommt es zu einer sogenannten "Springtide" ("Springflut" und "Springebbe"). Das Meerwasser steigt dann besonders hoch bei der Flut und zieht sich ebenso wesentlich weiter zurück bei der Ebbe - weit genug, um auch diese allgemein geflutete Randzone vorübergehend trocken zu legen. Dieser Gezeitenbereich ist für die Austernbauern ebenfalls sehr interessant. Hier kann die Boden- und Tischmethode eingesetzt werden. Bei besonders weichen Böden in Buchten kann auch eine horizontale Leinenmethode mittels kleinen Pfählen eingesetzt werden. Austernbauern dieser Art sind besonders vertraut mit dem Gezeitenkalender. Unerwünschter Algenwuchs, Seesterne, Schnecken, Krabben, bestimmte Fische (z.B. bestimmte Brasse- und Rochenarten) und sonstige Plagegeister sind gemeinhin vorprogrammiert und können in den oft unbewachten Austernbeständen (da sie ja vorwiegend unter Wasser liegen) in kurzer Zeit erheblichen Schaden anrichten.

Etwas weiter hinaus im Sublitoral wird das Wasser zunehmend tiefer. Zu Fuß kann ein Austernbauer seine Austern nicht mehr erreichen. Er ist auf ein Boot, eine kleine Mannschaft und teure Gerätschaften angewiesen. Bei der Kultivierung wird er sich allgemein an die reine Bodenkultivierung halten. Die jungen Austern werden gewissermaßen "ausgesät" und später zum geschätzten Zeitpunkt der erwarteten Marktgröße mit einem Schürfnetz wieder gehoben. Enorme Flächen können auf diese Art und Weise bearbeitet werden. Es ist die simplistischte Methode, wobei es eher um Quantität statt Qualität geht. Die Austernzöglinge sind allen natürlichen Feinden schonungslos ausgesetzt. In manchen Anbauregionen der Welt ziehen diese Austernbauern zeitweilig gewebte Matten über den Meeresboden, worin sich die Seesterne verheddern. Die Matten werden dann an Bord gezogen und die Seesterne anschließend an Land entsorgt.

Das Klima
Sehr wichtig sind auch die klimatischen Gegebenheiten. Ein Austernbauer in nördlichen Gebieten wird den Winter, und ein Austernbauer im Süden wird den Sommer fürchten, weil extreme Temperaturen seine Zöglinge umbringen können - insbesondere dann, wenn sie bei der Ebbe zu lange aus dem Wasser sind. Austern halten zwar in ihren natürlichen Schalenfestungen enorme Temperaturschwankungen vorübergehend aus, sind jedoch extremen Temperaturen nicht gewachsen. Schon wenige Stunden können den Tod der Austern herbeiführen. Manche Austernbauern in nördlichen Gebieten (z.B. am deutschen Wattenmeer, in Schottland und England) siedeln ihre Austern deshalb im Winter in besondere Becken um, wo die Wintertemperaturen keinen tödlichen Grad erreichen können. Da dies mühselige Arbeit ist, wählen sie auch Kultivierungsmethoden, welche den Transport der Austern etwas vereinfachen. Die Tischkultivierung der Austern in sogenannten "Poches" ist vorteilhaft dafür. Die Floßkultivierung kann ähnliche Vorteile bieten, da das Floß samt Austern nach Bedarf vorübergehend (oder auch langfristig) in klimatisch geschützte Gewässer geschleppt und dort geankert werden kann.

"Schlürfaustern" und "Fleischaustern"
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt bei der Wahl der Austernkultivierungsmethode ist der letztlich angestrebte Handelsbereich der Austern. In Europa sind "Schlürfaustern" hochbeliebt. Nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil fällt dem Handel mit reinem Austerfleisch zu, welcher für die Kochkunst vorgesehen ist. In Asien wiederum ist es genau umgekehrt. Die "Schlürfaustern" sind eher nebensächlich. Hier geht es in erster Linie um die Verarbeitung des Fleisches für viele unterschiedliche Bereiche der Kochkunst. In USA liegt eine Handelsmischung vor: Während im Nordosten die Schlürferaustern die Renner darstellen, regiert im Südosten die Kochkunst, während das Schlürfen roher Austern einen (kaum unerheblichen) zweiten Rang einnimmt. An der US-Westküste wiederum sind beide Handelsbereiche bedeutend.

Jede kulinarische Austernart kann als eine reine "Fleischauster" gelten. Nicht jede kulinarische Auster kann jedoch als eine "Schlürfauster" gelten. "Schlürfaustern" schmecken auch nicht besser als "Fleischaustern". Die Größe und Form einer Auster entscheidet, ob sie als eine "Schlürfauster" oder als eine reine "Fleischauster" eingeordnet werden kann. Eine Schlürfauster ist gemeinhin teurer als eine reine Fleischauster, öfters auch dann, wenn die "Fleischauster" mitunter wesentlich mehr Fleisch aufweist als die "Schlürfauster".

Der Grund dafür liegt bei der Kultivierung. Austern wie z.B. die berühmte Pazifische Auster oder die Amerikanische Auster (bzw. alle Austernarten aus der Gruppe der "Crassostreinae") gehen bei ihrem Schalenbau ungestüm vor. In der freien Wildbahn sind die Schalenformen so unterschiedlich wie die Anzahl der vorhandenen Austern - keine Auster gleicht der Nächsten. Manche jedoch sind mehr oder minder länglich und oval mit einem typischen "Töpfchen-mit-Deckelchen-Look". Genau diesen Look wünschen sich die Liebhaber der rohen Austern. Ein fähiger Austernbauer kann diesem gewünschten Look bei seinen Zöglingen mit bestimmten Kultivierungsmethoden nachhelfen. Die (bei weitem) erfolgreichste und beliebteste Methode dafür ist die Tischkultivierung. Gleichzeitig ist es auch die aufwendigste und teuerste Methode. Viele "Poches" bzw. Austerntaschen liegen auf niedrigen "Tischen" bzw. niedrigen Eisengestellen im Gezeitenbereich des Meeres. Ein Austernbauer reinigt, dreht und wendet diese Säcke regelmäßig. Zeitweilig "schlägt" er die Säcke, damit die Austern nicht zusammenwachsen. Sobald seine Austern im Sack eine bestimmte Größe erreichen, verteilt er sie auf zwei Säcke, damit sie mehr Platz zum formschönen Heranwachsen haben.


Ein französischer Austernbauer beim Transport seiner Poches.

Manche Austernbauern achten auch bei der Platzierung der "Tische" und Poches auf die Strömungsrichtung, weil auch die ständige Strömung der Gezeiten die Schalenform beinflussen kann. Nach zwei bis drei Jahren und zahllosen Stunden mühsamer Handarbeit kann dieser Austernbauer mit einem hohen Prozentsatz perfekter "Schlürfaustern" rechnen.

Ähnliche Resultate können auch mit einer Variante der Leinenkultivierung gelingen. Hier werden junge Austern in einem bestimmten Abstand voneinander einzeln an ein Seil geklebt (bzw. zementiert) und ins Wasser gehängt, wo sie dann von der Form her mehr oder minder gleichmäßig heranwachsen.

Die Bodenkultivierung kann natürlich zeitweilig ebenso "Schlürfaustern" hervorbringen. Viele große Unternehmungen in USA z.B., welche auf die Bodenkultivierungsmethode setzen, nutzen große Schürfnetze. Schürfnetze können zwar Unmengen der Austern auf einmal heben, sind jedoch sehr grob. Viele Austernschalen werden dabei beschädigt und die Austern sind hinterher untauglich für das Schlürfen. Zudem wird beim Schürfen der Meeresboden aufgewirbelt, welches beim Fang zu Versandung der Austern führen kann. Sand und Unreinheiten in der Auster sind natürlich ebenso unerwünscht bei "Schlürfaustern". Letztlich geht es dann an das Sortieren der verschiedenen Größen und das Aussortieren jener Austern, welche zum Handel als Schlürfaustern tauglich sind. Beim weitaus überwiegenden Großteil der geernteten Austern handelt es sich um reine "Fleischaustern", welche dann allgemein geöffnet, gewaschen und nach weiteren unterschiedlichen Verarbeitungs- und Verpackungsmethoden ihren Weg als "Austernfleisch" in den Handel finden. Ebenso landen viele dieser "Fleischaustern" mehr oder minder frisch in ihrer Schale in zahllosen US-Supermärkten.

Abb.: Links das Fleisch einer wohlernährten kleinen Auster, welches sich von der Größe her gerade noch zum Schlürfen eignet. Das Fleisch einer großen Auster (rechts) entspricht in etwa der Größe eines Steaks. Beide Pazifischen Austern stammen aus dem selben Fanggebiet und weisen auch mit ihren erheblichen Größenunterschieden den selben Geschmack auf. Ebenso ist die große Auster genauso zart wie die kleine Auster. "Alt und zäh" gibt es also bei Austern nicht. Trotzdem ist eine große Auster gemeinhin für die Kochkunst (statt den rohen Verzehr) vorbestimmt. Siehe auch Größen.



Abb.: In diesem Austernklumpen in der Gezeitenzone befinden sich vier saftige Austern. Wilde Austern in Klumpen dieser Art lassen sich jedoch nur mit unrentablem Aufwand als "Fleischaustern" verarbeiten und bleiben handelsmäßig folglich oft unbeachtet. Nur mit der Hilfe meines robusten "Boston Stabber" (siehe Austernmesser) gelang es mir, diese Austern kurz nach dieser Aufnahme "zu überführen".


* Einleitung
* Die Pioniere
* Die Austernbauern
* Kultivierungsmethoden
** Bodenkultivierung
** Pfostenkultivierung
** Tischkultivierung
** Leinenkultivierung
** Floßkultivierung

* Zucht
** Meeresbiologische Zuchtlabore
** Triploide Austern

zum Seitenanfang
 


Inhalte auf Austern.com sind urheberrechtlich geschützt.
Berichtigungsvorschläge werden dankend entgegengenommen.
All contents © Austern / McCabe.us, John W. McCabe Site Archive
Kontakt (Impressum)