Meeresbiologische Labore
John McCabe

Beim Besuch eines kommerziellen meeresbiologischen Zuchtlabors betritt man eine merkwürdige Welt. Oft handelt es sich um ein großflächiges Gebäude in der Nähe des Meeres. Das gesamte Gebäude ist mit kleinen, großen, runden, rechteckigen, seichten und tiefen Wasserbecken gefüllt. Überall hört man Wasser blubbern und tröpfeln. Hier und da summt eine große Wasserpumpe. Überraschend wenige Arbeitskräfte pflegen und überwachen die fast unüberschaubar anmutende Anzahl verschiedener Becken. Der Leiter des Betriebs ist oft ein Meeresbiologe. In seinem/ihrem Büro befinden sich neben Computern oft mehrere Mikroskope. Diese Person findet man jedoch nur selten "im Büro". Man muss den Chef oft eher im Wirrwarr der Becken und Rohrleitungen regelrecht aufspüren. Es gibt ständig reichlich zu tun.

Eine Hälfte des Unternehmens erinnert an ein Treibhaus. Öfters besteht dort das Dach aus Glas oder einem transparentem Kunststoffmaterial. Über manchen der großen runden Wasserbehälter schweben Halogenlampen. Dieser Bereich ist tatsächlich ein Treibhaus. Hier werden verschiedene hochwertige Mikroalgen (Phytoplankton) produziert.


Große Becken mit Halogenlampen. Das Dach ist lichtdurchlässig.

Die andere Hälfte des Gebäudes ist ein normal überdachter Arbeitsbereich. Dieser ist ebenso mit vielen Wasserbehältern gefüllt. Hier leben die Austern (und öfters auch andere Muschelarten).

Ein kleiner Spaziergang durch ein Zuchtlabor
* Bilder können durch Anklicken vergrößert werden.

Alle Wasserbehälter im Gebäude sind mit Rohrleitungen versehen. Viele verbinden die Behälter in beiden Bereichen des Gebäudes direkt oder indirekt über Ventile. Der "Treibhausbereich" des Gebäudes versorgt die Austern ständig mit besten Nährstoffen. Diese befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen.

In manchen Behältern schwimmen viele Mio. Austernlarven emsig umher. Auf den ersten Blick wirkt das Wasser in diesen Behältern wie eine klare braune Brühe. Schaut man jedoch genau hin, kann man die winzigen Larven erkennen.




Bei der "braunen Brühe" in diesen Behältern handelt es sich um mehrere Mio. Austernlarven. Sie sind inzwischen 16 Tage alt. Der Leiter des Zuchlabors hat sie unter dem Mikroskop geprüft und festgestellt, daß sie sich bereits im "beäugten Stadium" befinden. Es handelt sich also um bewimperte Larven mit einem "Auge" bzw. einen primitives Organ, welches kaum mehr als hell und dunkel unterscheiden kann. Dies bedeutet, daß sie sich in wenigen Tagen auf geeignetem Substrat gerne niederlassen und dann sesshaft werden würden.


In der Nähe der Larvenbehälter befinden sich diese Algenbehälter. Sie sind mit einer nahrhaften Phytoplankton-Mischung gefüllt, welche über Rohrleitungen den Austernlarven als Nahrungsmittel zugeführt wird. In der ersten Woche werden die Larven einmal am Tag gefüttert, in der zweiten Woche zweimal pro Tag und in der letzten Woche bis zu dreimal gefüttert.

"Phytoplankton" beschreibt eine große Anzahl verschiedener Mikroalgen. Im Gegensatz zu ausgewachsenen Austern eignen sich nur kleine "Phytoplankton-Häppchen" für die Ernährung der Larven. "Phytoplankton" bezeichnet einen regelrechten "Gemüsegarten" im Meer. Es gibt viele verschiedene Arten. Beispielsweise gilt die Mikroalge Isochrysis galbana als "lecker" unter den Austern (und zahllosen anderen Muschelarten). Sie enthält Omega-3 Fettsäuren, wichtige Aminosäuren, höhere ungesättigte Fettsäuren, Antioxidanten, Proteine, Pigmente, Kohlenhydrate und mehr. Wie komplex das Phytoplankton-Gemisch im Meer sein kann, veranschaulichen diese Phytoplankton-Untersuchungen an der Küstenstation Heiligendamm im Jahre 2001:
https://www.io-warnemuende.de/research/algae/de_he01.html



In anderen Becken sind zahllose Austernbabys beheimatet. Hier handelt es sich also um Austernlarven, welche die Metamorphose hin zu Austernbabys erfolgreich überstanden und sich auf geeignetem Substrat festgesetzt haben (sog. "Spat").

Der Zuchtbetrieb entscheidet, was den Larven als Substrat zur Verfügung steht. Beim Substrat kann es sich um Schalenhälften handeln (sog. "Cultch"), wo sich gleich mehrere Austernbabys niederlassen können oder auch um winzige Schalensplitter handeln, wo nur genug Platz für ein Austernbaby vorhanden ist. Diese einzelnen Austernbabys werden als "Cultchless" bezeichnet.

Beide Austernbaby-Sorten sind bei Austernbauern gefragt. Die Austernbabys auf Schalengut sind überwiegend für die Leinenkultivierung vorbestimmt. Die einzelnen "Cultchless-Austernbabys" auf winzigen Schalensplittern wiederum sind überwiegend für die Tischkultivierung in Netztaschen vorgesehen. Letztlich werden sie in der Obhut eines tüchtigen Austernbauers zu formschönen "Schlürfaustern" heranwachsen.






In einem weiteren Becken wohnen "Herr und Frau Auster" bzw. mehrere erwachsene männliche und weibliche Austernpärchen. Der Leiter des Zuchtlabors kann die Nahrungszufuhr und Wassertemperatur in ihrem seichten Becken zu jeder Jahreszeit so einstellen, daß diese Austern plötzlich einen unwiderstehlichen Drang zum Laichen verspüren.

Meeresbiologen stehen in Laboren unterschiedliche Methoden zur Verfügung, um für die erfolgreiche Befruchtung der Austerneier zu sorgen. Die einfachste Methode wäre natürlich mehreren Austern ungestört das Laichen einfach selbst zu überlassen. Die Mischung der Spermien und Eier wäre jedoch im Zuchtbecken absehbar unbalanciert bzw. es könnte zu "Unterbefruchtung" oder "Überbefruchtung" (Befruchtung eines Eies durch mehr als eine Spermie) der Eier führen. Folglich lauern die Meeresbiologen auf den Moment kurz vor dem Laichen und platzieren die Männchen und Weibchen in gesonderte Becken. Die Spermien und Eier können dann separat abgefangen werden und in einem optimalen Verhältnis zueinander dann später miteinander vermischt werden.
Beispielsweise können ca. 2 ml konzentrierter Spermien für die erfolgreiche Befruchtung von ca. 1 Mio. Eier führen. Bei einer anderen Methode werden die Geschlechtsteile der reifen männlichen Auster entfernt und in in einen Mixer gegeben. Der "Püree" wird anschließend in angemessener Menge mit den Eiern vermischt.

Diese Methoden eignen sich für die gezielte Vermehrung der Austern aus der Gruppe der sogenannten "Crassostreinae" (z.b. die Pazifische Auster, Amerikanische Auster...). Bei den sogenannten "Ostreinae" (z.B. die Europäische Auster, Olympia Auster.... Siehe auch Arten) werden die Männchen und Weibchen jedoch oft nicht getrennt, da die Weibchen dieser Gruppe "Brüter" sind bzw. die Eier werden in der Schale befruchtet. In den Schalenhälften entwickeln sich auch die Larven bis zu einem gewissen Punkt.
Siehe auch:
Vermehrung und Wachstum der Pazifischen Auster
Vermehrung und Wachstum der Europäischen Auster


Die Ware der Zuchtlabore

In manchen Meeresgewässern der Welt vermehren sich z.B. Pazifische Austern ganz natürlich sehr gerne. Dies ist z.B. der Fall in Arcachon, Frankreich. Dort haben sich manche Betriebe auf den "Fang" der Austernlarven auf gekalkten Dachziegeln spezialisiert. Sie sind gewissermaßen "Austernbaby-Bauern" und liefern bereits seit vielen Jahrzehnten ihre Austernbabys an Austernbauern in nördlichen Küstengebieten Europas, wo sich Austern unzuverlässig (oder überhaupt nicht) vermehren. Zuchtlabore für die Pazifische Auster existieren zwar in Europa, sind jedoch (noch) nicht zwingend notwendig. Anders ist es jedoch bei der Europäischen Auster. Sie vermehrt sich neuzeitlich unzuverlässig in europäischen Gewässern. Es gibt folglich mehrere Zuchtlabore in Frankreich und Großbritanien, welche schon seit Jahrzehnten für den Nachschub dieser Austernbabys sorgen.

In manchen anderen Regionen der Welt jedoch, wo alle Austernarten sich nur unzuverlässig in der Natur selbst vermehren und es auch keine Lieferanten natürlicher Austernbabys gibt, sind die meisten Austernbauern bereits völlig von diesen Zuchtlaboren abhängig. Dies ist z.B. längst der Fall an der amerikanischen und kanadischen Westküste. Viele kommerzielle Zuchtbetriebe gehören dort großen Austernunternehmen. Bei diesen Betrieben ist also die eigene Firma gewissermaßen "der beste Kunde". Sie bedienen sich jedoch kaum nur selbst, sondern beliefern ebenso viele unabhängige große und kleine Austernbetriebe.

Zuchtlabore bieten den Austernbauern eine große Produktauswahl. Manche amerikanische Zuchtlabore liefern z.B. gleich mehrere verschiedene Austernarten (Pazifische Austern, Kumamoto-Austern, Olympia-Austern, Europäische Austern, Amerikanische Austern).
Auch andere kulinarische Muschelarten können oft geliefert werden (z.B. Miesmuscheln, Venusmuscheln, Geoduck...)

Ein größerer Austernbauer, welcher sich auf die Leinenkultivierung spezialisiert hat, kann sogar lediglich die Austernlarven bei einem Zuchtlabor bestellen und selbst für das Setzen der Larven auf Austernschalen sorgen. Das Zuchtlabor liefert die Larven in feuchten Säckchen aus Baumwollgaze. Ein Säckchen ist in etwa so groß wie ein Golfball und enthält ca. 3 Mio. Larven. Sachgerecht gekühlt kann dieser braune "Larvenbrei" mehrere Tage in diesen Säckchen überleben - lange genug, um auch an einen weit entfernten Austernbauern versandt zu werden.

Andere Austernbauern bestellen wiederum lieber die Austernbabys. Sobald die Austernbabys bzw. "Spat" eine Größe von ca. 1.5 bis 2 cm erreichen, ist ihre Schale bereits kräftig genug, um sie vor vielen natürlichen Feinden etwas zu schützen. Die Bezeichnung "Spat" wandelt sich im Handel dann auf "Seed" (Samen).
Pazifische Austernbabys kosten pro 1000 als "Seed" ca. US$ 40 (ca. Euro 37). Die triploiden Pazifischen Austern kosten ein paar Dollar mehr. Die Kumamoto-Austern, Amerikanischen Austern, Europäischen Austern und Olympia Austern kosten ca. US$45 pro 1000. Wer lieber Austernbabys auf Schalenhälften kaufen möchte, kann für ca. US$ 15 (also ca. 12 - 13 Euro) einen Sack mit ca. 300 Austernschalen kaufen. Jede Schalenhälfte ist üblicherweise mit ca. 5 Austernbabys bestückt.

Manchmal liefern diese Zuchtbetriebe auch Zubehör wie z.B. Netztaschen bzw. sogenannte "Poches" zum Preis von ca. fünf Dollar pro Stück.

Kleines Austernbaby der Amerikanischen Auster aus dem Zuchtlabor.

Das teuerste Muschelbaby im Angebot der Labore an der Westküste der Vereinigten Staaten ist jedoch keine Auster, sondern die mächtige Geoduck-Muschel (als "Guidack" ausgesprochen). Die abgebildeten Babys sind ca. 2 -3cm groß. Der Preis eines einzigen Babys liegt zwischen 50c und einem Dollar.

Geoducks sind lediglich an der Nordwestküste Amerikas beheimatet. Sie werden bis zu 100 Jahre alt (das bisher älteste Exemplar wurde auf 146 Jahre geschätzt). Der "Hals" kann über einen Meter lang werden. Wie abgebildet sehen sie erst nach mehreren Jahrzehnten aus. Geoducks wachsen jedoch schnell und sind bereits nach 3 bis 5 Jahren handelsreif. Die Kultivierung macht sich bezahlt, zumal 500g Geoduck, frisch oder gefroren, schon vor Ort spielend 8 bis 10 Euro kostet. Geoducks sind eine Delikatesse erster Güte. An Käufern mangelt es nie.


* Einleitung
* Die Pioniere
* Die Austernbauern
* Kultivierungsmethoden
** Bodenkultivierung
** Pfostenkultivierung
** Tischkultivierung
** Leinenkultivierung
** Flosskultivierung

* Zucht
** Meeresbiologische Zuchtlabore
** Triploide Austern

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